Trauma

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Keyword: Trauma

Links: Angst, Chaos, Dunkelheit, Gottesbild, Heros-Prinzip, Hölle, Jenseits, Nigredo, Tod, Trennung

Definition: Unter einem Trauma (griechisch: Wunde, Verletzung) versteht man eine nachhaltige Gewalteinwirkung in körperlicher oder psychischer Hinsicht, die Erfahrung von Schande, einem Schaden, einer Niederlage, einem Schock, einer seelischen Erschütterung. Das dazugehörige Verb tiroskein hat die Bedeutung von verwunden, verletzen, beschädigen, durchbohren. Das Trauma ist eine Wunde, die wie ein Riss durch die Seele geht und alle sonst üblichen Bewältigungsmechanismen außer Kraft setzt und die psychische Organisation zusammenbrechen lässt.

Information: Unterschieden werden Typ I Traumen, Naturkatastrophen, Unfälle, kriminelle Gewalttaten und Typ II Traumen, Geiselhaft, Folter, Kz-Haft, Kriegsgefangenschaft, wiederholte sexuelle, körperliche, familiäre Gewalt. Menschen haben in ihrem evolutiven Prozess immer Überwindungsleistungen vollbracht, um mit solchen Traumen fertig zu werden. Der Heldenarchetyp und der Opferarchetyp sind bei allen Traumatisierungen konstelliert.

Interpretation: Homers Ilias und Caesars Bellum Gallicum sind antike Beschreibungen traumatischer Gewalt."Achill in Vietnam" von Jonathan Schay (1998), "Archipel Gulag" von Solschenyzin, Jewgenia Ginsburg "Marschroute eines Lebens" moderne Auseinandersetzungen mit traumatischen Erfahrungen. Paul Celan gilt als Poet des Traumas mit seiner „Todesfuge“; im Film wird die Shoa wiederbelebt und „ Schindlers List“ weist auf das Licht in der Dunkelheit, eine andere Gestaltung als das Vietnam Trauma in Apokalypse Now. Die modernen Medien und Nachrichtenmagazine überfluten täglich das Publikum mit Bildern traumatischer Gewalt, Szenen von Folter, Enthauptungen und Terrorakten rücken das Trauma immer stärker ins Bewusstseinsfeld. Sexuelle Gewalt und Inzest als Trauma ist häufiges Motiv in Filmen (z. B. der dänische Film: Festen), Märchen (Das Mädchen ohne Hände), Mythen und biblischen Geschichten.

In der Kunst sind Traumen symbolisiert bei Goya, Hieronymus Bosch, Picassos "Guernica", Munch, Käthe Kollwitz, in den Schießbildern von Niki de Saint Phalles, im Orgien-Mysterien-Theater von Herman Nitsch. Traumen werden oft wie ein schamanistisches Erlebnis des Zerstückeltwerdens begriffen, einer initiatischen Krankheit vergleichbar, einem Einüben des Sterbens vor dem Sterben. Dieses „den Tod trainieren“ gilt im Schamanismus als Vorbedingung für den Heiler oder die Heilerin, ein Verweis auf den Archetyp des verwundeten Heilers. Metaphern für traumatisches Erleben sind Chaos, der gähnende Abgrund, die Erfahrung der „Anti-Schöpfung“ (Primo Levi), der „Verlust des Heimatrechtes im Leben“, das „schwarze Loch in der Psyche“, der „abgeschnittene Lebensfaden“ (Asper). Trauma, das ist die Wunde, die sich nicht schließt, die nicht heilende Wunde des Chiron, das Kainszeichen auf der Stirn, ein „Sinndestruktor“ und „Todesstempel“. Traumatisierte Menschen haben das Gefühl als würden die apokalyptischen Zornschalen über sie ausgegossen. Ein Trauma kann als „dunkle Nacht der Seele“ (J. v. Kreuz) und als eine „existentielle Gleichgewichtsstörung“ (Amöry) begriffen werden. Das Trauma reißt einen Graben auf zwischen Individuum und Umwelt. In der Traumatisierung erfährt der Mensch sich als der Welt abhanden gekommen, er begegnet dem dunklen, stummen, erschreckenden Gottesbild, dem deus absconditus.

Seelenverfinsterung, Seelenraub, Seelenmord - mit diesen Bildern wird eine Form des Nicht-Seins, des Lebendig-tot-Seins beschrieben, ein Leben „als ob“ in dem der „Himmel als Abgrund“ (Celan) erlebt wird. Solche archetypischen Leidenserfahrungen, in denen auch das Selbst traumatisiert wird, stimulieren religiöse und mythologische Symbolbildungen und evozieren mythische Bilder der Unterwelt. Die Traumatisierung wird verstanden als Eintauchen in das Reich des Hades, den unfruchtbaren, dunklen Tartaros, erlebt als „Hölle“, als nie endendes Leiden, in dem der Teufel die Toten von Kopf bis Fuß spaltet und den Körper in Stücke zerhackt.

In Dantes „Göttliche Komödie“ finden sich Bilder für das ganze Spektrum von Zuständen der Desintegration der Persönlichkeit nach dem Trauma. Fragmentierung des Erlebens, Einfrieren, zur Salzsäule erstarren, Überflutet- und Überwältigtwerden sind Traumatisierungsfolgen. Das Leben nach dem Trauma wird als sinnlos erlebt, der Archetyp des Sisyphos regiert das Lebensgefühl. Die innere Welt wird von dämonischen, sadistischen Introjekten beherrscht, die Reifen und Wachstum verhindern wollen. Die archetypischen Bilder von Tod, Zerstörung und Selbstzerstörung begleiten extremtraumatisierte Menschen.

Der Erinnerungsprozess traumatisierter Menschen verläuft anders. Sie vergessen, als hätten sie zu viel Wasser aus dem Fluss Lethe, dem Fluss des Vergessens getrunken und sich dabei selbst vergessen oder sie sehnen sich nach dem Wasser von Lethe, ohne je wirklich vergessen zu können. Sie beschreiben ihr Erleben als Filmriss; es gibt keine Kohärenz des Erlebens mehr. Flashbacks, Fetzen von sensorischen Eindrücken (Bilder, Würgegefühle, Geruchssensationen, akustische Reize) ohne einen sinnstiftenden Zusammenhang verfolgen die traumatisierten MenschenTraumatische Erfahrungen sprengen nicht nur die bisherige Sichtweise der Welt, sondern die gesamte Seinsweise. Die Ich-Selbst Achse wird durch traumatische Geschehnisse blockiert und Ur-Affekte überschwemmen das Bewusstsein. Die „Götter“, von denen Menschen besessen sind, die das Trauma der Gewalt erfahren haben, sind traumatische Komplexe mit archetypischem Kern, die die Psyche in Form von Monstern, Vergewaltigern, Dämonen und bösen Tieren umklammern. In das mythologische amplifikatorische Traumafeld gehören Leviathan, Tiamat, Apophis, der Urdrache und Erzfeind der Schöpfung, der immer wieder abgewehrt werden muss und die Verkörperung des Bösen und des Nicht-Seins darstellt.

In den selbstverletzenden Verhaltensweisen traumatisierter Menschen spielt die Symbolik von Blut und Haut eine wichtige Rolle. Auch das moderne piercing kann als eine Form von Selbstverletzung mit rituellem Charakter betrachtet werden.

Der Entstrukturierungsprozess, der bei einer Traumatisierung einsetzt und zum Kollaps der psychischen Struktur führt, geht einher mit einem Sinn- und Bedeutungsverlust, einer Auflösung von Ich und Welt. Intrusion, Vermeidung und Übererregung oder Kampf, Flucht und Erstarrung sind charakteristische Reaktionen auf traumatisches Geschehen. Das Trauma hat einen „numinosen“ (R. Otto) Charakter und rührt an die archetypische Situation totaler Verlassenheit.

In der Traumaforschung gibt es einen Paradigmawechsel durch die Studien zu Posttraumatic Growth, die zeigen, dass Extremtraumata auch zu posttraumatischem Wachstum, zu Reifung und Individuation führen kann. Es wird die Destruktion unter dem Aspekt des Werdens betrachtet, die Erfahrung des Zu-Grunde-Gehens als Krise und Chance, dem eigenen Leben auf den Grund zu gehen und wesentlich zu werden. Die archetypischen Symbole des Individuationsprozesses bebildern auch diesen Wandlungsprozess, in dem Zersetzung und Zerstörung Möglichkeiten für kreative Neuschöpfung sind. Dionysos und Christus verweisen darauf, wie untrennbar Zerstörung, Leiden und Tod mit Transformation und Erneuerung verbunden sind.

Ein mythologisches Bild für diesen Erneuerungsprozess ist der Vogel Phönix, der auf dem Scheiterhaufen verbrennt und aus der Asche erneuert wieder aufsteigt. Phönix ist auch der Titel des Diskussionsforums und Informationsblattes des Spiritual-Emergence-Network-Deutschland, einer Vereinigung, die sich mit Grenzzuständen, Nahtoderfahrungen und spirituellen Krisen beschäftigt, die als traumatisierend erlebt werden.

Traumatische Erschütterungen bewirken oft eine spirituelle Krise, weil in diesen existenziellen Grenzzuständen des Leidens die Leere berührt wird. Bei Traumatisierungen zerbricht das Konstrukt der Subjektivität und die „Chimäre des Ich“ löst sich auf. Solche Erlebnisse der Entleerung lassen den vertrauten Sinnkosmos zerbrechen und führen in eine via negativa, in der nicht mehr vertraut, nicht mehr geglaubt, geliebt und gehofft werden kann. In unseren Träumen verfolgt uns das Trauma als pavor nocturnus, von dem oft mit einem Schrei und Herzklopfen aufgewacht wird, ohne dass ein klares Erinnerungsbild der Traumszene zur Verfügung steht oder als ewig sich wiederholender Alptraum. Eine junge in der Kindheit sexuell missbrauchte Frau träumt "Ich liege in meinem Bett und eine große schwarze Gestalt beugt sich über mich, ich spüre die Hände riesengroß auf meinem Körper, ich bin gelähmt und kann mich nicht rühren, ich habe Todesangst und erwache angsterfüllt und völlig versteinert.“

In der Traumatherapie hat sie diesen Moloch gestaltet, Collagen und große Bilder gemalt, Dialoge mit den Händen geführt und Fantasiereisen durch ihren Körper gemacht, um wieder Zugang zu den versteinerten, abgespaltenen Leibregionen zu bekommen und Körpergrenzen neu zu erfahren. Sie hat ihre eigene Geschichte neu geschrieben in kreativer Auseinandersetzung mit den Quellen der Mythen und Märchen, Kunstkarten gesucht, die eine Vision für ihr künftiges Leben enthielten, Rituale erschaffen, die ihr Sinn und Orientierung vermitteln haben. Ressourcenorientierte Imaginationen zum sicheren Ort und heilende Gegenbilder zu den Schreckensbildern des Traumas halfen dabei, das traumatische Geschehen zu verarbeiten, anders zu bewerten, es in den Lebenskontext zu integrieren, um eine neue Identität jenseits der Opferrolle zu gewinnen. Es geht in der Therapie um den „Traum von Ganzheit“ (Jung) im Gebrochenen.

Literatur: Standard, Wirtz (1993)

Autor: Wirtz, Ursula