Ganzheit

Aus symbolonline.eu
Version vom 5. Mai 2012, 16:50 Uhr von de>Hermes (Die Seite wurde neu angelegt: „'''Keyword:''' Ganzheit '''Links:''' Analytische Psychologie, Coniunctio, Gottesbild, Individuation, Mandala, Mystos-Prinzip, Selbst …“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Keyword: Ganzheit

Links: Analytische Psychologie, Coniunctio, Gottesbild, Individuation, Mandala, Mystos-Prinzip, Selbst

Definition: Unter Ganzheit wird allgemein Vollständigkeit, Vollkommenheit, Geschlossenheit, Unversehrtheit, Eigengesetzlichkeit einer Sache verstanden, in der Philosophie wird manchmal auch von Totalität gesprochen.

Information. Aristoteles formuliert, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Im Ganzen sind zwar Teile erkennbar, in ihnen wirkt aber nicht nur die Eigenart eines Teils, sondern immer auch die des Ganzen.

In der abendländischen Philosophie, in vielen östlichen Traditionen und in der westlichen Mystik und Hermetik sind Ganzheitsvorstellungen und -modelle über den Menschen und das menschliche Leben, über Natur, Geist, Kosmos und Gott weit verbreitet. Im 20. Jahrhundert entwickeln sich verstärkt ganzheitliche Ansätze in der Psychologie und Psychotherapie, z. B. in der Ganzheitspsychologie und der Gestaltpsychologie (Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Humanistische Psychologie, Integrale Psychologie, Transpersonale Psychologie), in den Sozial- und den Naturwissenschaften, insbesondere in Biologie, Medizin und Physik.

Die Vorstellung der Ganzheit bestimmt auch das Bild Jungs vom Menschen und der menschlichen Existenz. Sie ist untrennbar mit seinen Vorstellungen der Individuation und des Selbst als Ursprung und Ziel der menschlichen Entwicklung, der Coniunctio oder des Unus mundus verbunden. Auch sein therapeutischer Ansatz ist ein integrativ-ganzheitlicher. Jung ist sich dabei der Schwierigkeit und Problematik der Ganzheitsannahme durchaus bewusst.“Der richtige Weg zur Ganzheit aber besteht – leider – aus schicksalsmäßigen Um- und Irrwegen. Es ist eine „longissima via“, nicht eine gerade, sondern eine gegensatzverbindende Schlangenlinie, an den Wege weisenden Caduceus erinnernd, ein Pfad, dessen labyrinthische Verschlungenheit des Schreckens nicht entbehrt. Auf diesem Wege kommen jene Erfahrungen zustande, die man als „schwer zugänglich“ zu bezeichnen beliebt. Ihre Unzugänglichkeit beruht darauf, dass sie kostspielig sind: sie fordern das, was man am meisten fürchtet, nämlich die Ganzheit, die man zwar beständig im Munde führt, und mit der sich endlos theoretisieren lässt, die man aber in der Wirklichkeit des Lebens im größten Bogen umgeht.“ (Jung, GW 12, § 6).

Jung betont immer wieder, dass eine ganzheitliche Sichtweise auf das Leben kein Anlass für positiv-überhöhte, idealistische Selbsttäuschungen darstelle: „Wer also eine Antwort haben will auf das heute gestellte Problem des Bösen, der bedarf in erster Linie einer gründlichen Selbsterkenntnis, d. h. einer bestmöglichen Erkenntnis seiner Ganzheit. Er muss ohne Schonung wissen, wie viel des Guten er vermag und welcher Schandtaten er fähig ist, und er muss sich hüten, das eine für wirklich und das andere für Illusion zu halten. Es ist beides wahr als Möglichkeit, und er wird weder dem einen noch dem anderen ganz entgehen, wenn er – wie er es eigentlich von Hause aus müsste – ohne Selbstbelügung oder Selbsttäuschung leben will.“ (Jung, Jaffé, 1962, S. 333)

Aber er sieht auch bis zum Ende seines Lebens die sinn- und zielstiftende Funktion der Ganzheitsvorstellung: „Dem Bedürfnis der mythischen Aussage ist Genüge getan, wenn wir eine Anschauung haben, welche den Sinn menschlicher Existenz im Weltganzen hinlänglich erklärt, eine Anschauung, welche der seelischen Ganzheit, nämlich der Kooperation von Bewusstsein und unbewusstem, entspringt. Sinnlosigkeit verhindert die Fülle des Lebens und bedeutet darum Krankheit. Sinn macht vieles, vielleicht alles ertragbar.“ (Jung, Jaffé, 1962, S. 343)

Interpretation: Die Symbole der Ganzheit sind Symbole, die etwas Einheitliches, Umfassendes, Integratives, Abgerundetes, Geschlossenes, Symmetrisches, Polaritätsvereinigendes haben, etwas, was häufig als schön, harmonisch und stimmig empfunden wird. Sie entsprechen auch dem, was von der Gestaltpsychologie als "gute Gestalt" beschrieben wurde. Typische Ganzheitssymbole sind die Blüte, der Kreis, die Kugel, das Mandala, das mehrfach unterteilte Quadrat.

Literatur: Müller, A., Müller, L.: Wörterbuch der Analytischen Psychologie

Autor: A. Müller