Flechten

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Keyword: Flechten

Links: Binden, Coniunctio, Faden, Knoten, Mandala, Schlange, Schnur, Spinnen, Verbindung, Weben

Definition: Mit Flechten (mittelhochdeutsch vlehten, althochdeutsch flehtan, verwandt mit dem gleichbedeutenden lateinischen Ausdruck plectere) bezeichnet man das regelmäßige Ineinanderschlingen von mehreren Strängen, die aus einem biegsamen Material beschaffen sind.

Information: Mithilfe des Flechtens lassen sich Haare zu einem Zopf, Blumen zu einem Kranz, Lederriemen zu einem Schuh oder Weiden zu einem Korb zusammenfügen. Auch in der Ornamentik finden sich Flechtarbeiten aus verschlungenen Bändern. Der klare, richtige Aufbau des Flechtwerks bereitet Freude, sein Werdegang liegt für den Schauenden offen da.

Das Flechten gehört zu den ältesten Techniken der Menschheit; die frühesten Zeugnisse in Alt-Amerika werden auf 17000 v. Chr. datiert. Zudem fanden sich Fragmente von gewickelten Flechtarbeiten, mit denen die Getreidekammern im ägyptischen Fayum ausgekleidet waren (10000 – 8000 v. Chr.). Die Kelten haben, wie von Cäsar berichtet wird, Götterfiguren überlebensgroß aus Weidenruten geflochten. In allen Bereichen des Alltagslebens stößt man auf funktionale Gegenstände, die durch Flechtkunst erzeugt wurden und noch werden, wenn auch längst nicht mehr im gleichen Ausmaß früherer Zeiten. Die begrenzten Möglichkeiten der maschinellen Herstellung von Geflechten lässt die geschickte Menschenhand unentbehrlich bleiben. So bescheiden diese Kunst auf den ersten Blick erscheint, so mehr überrascht doch immer wieder der große Reichtum an ursprünglichen und weiterentwickelten Flechttechniken und -mustern, sowie die fast unüberschaubare Verwendung von Naturmaterialien, die sich kulturspezifisch herausgebildet haben.

Interpretation: Umgangssprachlich findet sich Flechten im Sinne von einfließen lassen, wenn beispielsweise ein neuer wichtiger Aspekt in eine Unterhaltung eingeflochten wird.

Im Grimmschen Märchen "König Drosselbart" spricht der Bettelmann zu seiner Frau: "Frau, so geht's nicht länger, dass wir hier zehren und nichts verdienen, du sollst Körbe flechten." Da ging er aus und schnitt Weiden, sie aber musste anfangen Körbe zu flechten, die harten Weiden stachen ihr aber die Hände wund. Der oft mühsame Prozess des Flechtens kann symbolisch als Wachstumsbewegung gedeutet werden und ist auch im angeführten Beispiel eine wichtige Erfahrung für den Wandlungsprozess der ursprünglich hochnäsigen Prinzessin.

Eine spirituelle Dimension wird beim Flechten erlebbar, da durch die Erfahrung des schöpferischen Entstehen verstärkt eine Verbindung zu Natur und Erde hergestellt wird. Ineinandergeflochtene Muster und Ornamente weisen oft auch auf die Komplexität, Verschlungenheit, Vernetztheit der Ganzheit des Lebens - wie z. B. im Mandala - hin, auf die Vereinigung der Polaritäten und das Mysterium coniunctionis. Naturgeflecht und Handarbeit sind heute, wie in aller Zeit, Gegenstand geheimer Sehnsucht vieler Menschen.

Eine junge Frau mit ausgeprägter Persönlichkeitsstörung konnte in der Therapie durch Peddigrohrflechten wieder vermehrt zu ihren versteckten Ressourcen Zugang finden. Das sichtbare Wachsen ihres Flechtwerks wirkte sich stabilisierend auf die Psyche aus. Indem sie bemüht war, ihrem schöpferischen Wirken eine Form zu geben, konnte sie erleben, wie dieser Prozess auf sie selbst zurück wirkte. Insofern lässt sich Flechten auch als Ausdruck der Dynamik des Selbst erfahren.

Die Flechtkunst ist eine Möglichkeit, Kulturen, Überzeugungen und traditionelle Werte lebendig zu erhalten. Es gibt immer noch Menschen, die die spirituellen Vorteile der Handarbeit erkannt haben, obwohl die traditionelle Korbflechterei vielerorts auszusterben beginnt, denn sie wird immer mehr durch entsprechend billigere industrielle Produkte verdrängt. Dieser Prozess wird in José Saramagos Roman "Das Zentrum" (2002) für ein anderes traditionelles Handwerk, die Töpferei, eindrücklich beschrieben.

Literatur: Standard

Autor: Heinke, Ellen