Einsamkeit: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 17:51 Uhr

Keyword: Einsamkeit

Links: Einsiedler

Definition: Alleinsein (aloneness) kann als objektiver Zustand des Nicht-Zusammen-Seins definiert werden, die zur Einsamkeit als angestrebter Erfahrung (solitude) oder zur erlittenen Ver-Einzelung (loneliness) führen kann (Suedfeld, 1982). Allerdings ist dieser Zusammenhang weder notwendig noch hinreichend, m. a. W.: Wer allein ist, muss sich nicht einsam fühlen, und wer nicht allein ist, kann durchaus einsam sein.

Zur näheren Differenzierung der negativen Einsamkeit (loneliness) können drei Dimensionen unterschieden werden (de Jong-Gierveld und Raadschelders, 1982):

1. Emotionalität: Vorherrschen negativer Emotionen (z. B. Angst und Unsicherheit)

2. Deprivationstyp: Gefühle von a) fehlender intimer Bindung, b) Leere, c) Verlassensein

3. Zeitdimension: a) bleibend, b) vorüber gehend, c) vom Verhalten anderer abhängig.

Information: Die Untersuchung einer studentischen Stichprobe mit der UCLA Loneliness Scale (Horowitz und Anderson, 1982) ergab, dass einsame Versuchspersonen sich von nicht einsamen vor allem in ihren interpersonalen Attributionen unterschieden: Sie schätzten ihre Fähigkeiten und Erfolge signifikant geringer ein. Paloutzian und Ellison (1982) fassen Einsamkeit als Indikator für eine geringe Lebensqualität auf. Sie berichten außerdem von negativen Korrelationen zwischen der Einsamkeit einerseits und dem spirituellen Wohbefinden andererseits.

Interpretation: Wer die Symbolhaftigkeit der Einsamkeit erfassen will, muss sich von dem normativen Druck freimachen, der das Alleinsein für einen schädlichen oder krankhaften Mangel hält, auch in wissenschaftlicher Hinsicht (Suedfeld, 1982).

Wer allein lebt, ist nicht notwendigerweise bindungslos oder einsam. Im Gegenteil: Beziehung setzt die „Fähigkeit zum Alleinsein“, das „Fundament alles Späteren“ (Winnicott, 1957/1965), voraus, die in der Entwicklung eines Menschen nach der Herstellung der Dreierbeziehung zustande kommen kann. „Diese Erfahrung besteht darin, als Säugling und kleines Kind in Gegenwart der Mutter allein zu sein. Die Grundlage der Fähigkeit, allein zu sein, ist also ein Paradoxon; es ist die Erfahrung, allein zu sein, während jemand anderes anwesend ist“. Die Fähigkeit zum Alleinsein ist ferner Voraussetzung der Individuation als dem größeren Ziel jeder einzelnen Erfahrung von solitude. Individuation kann sich über den Weg erlittener oder selbst gewählter Einsamkeit vollziehen. Die großen Religionsstifter der Menschheit suchten das Alleinsein in der Wüste zur Vorbereitung auf die spirituelle Einsamkeit (Suedfeld, 1982). Mystiker wie Ignatius von Loyola raten zu Zeiten der Abgeschiedenheit, gleichfalls zur Vorbereitung auf die spirituelle Erfahrung (Jung, 1940). Auch therapeutischer Einsatz von Einsamkeit ist beschrieben worden (Suedfeld, 1982). Ein frühes Beispiel für den paradoxen Gemeinschafts- und Bindungsbezug selbstgewählter Einsamkeit ist das altchristliche Mönchstum: Einsiedler (Eremiten) schlossen sich häufig zu Gruppen (Zönobiten) zusammen. So definiert Evagrius Ponticus den Mönch als jemanden, der „von allem abgeschieden und mit allen vereint ist“ (Evagrius, PG LXXIX c 1194). Der Einsame nimmt einen Aspekt des Todes voraus: nicht mehr kommunizieren zu können, keine leiblich wahrnehmbare und äußerbare Sprache mehr zu haben. Einsamkeit kann also hell (solitude: z. B. eine selbstgewählte Zeit der Meditation und der Wüstenerfahrung) und dunkel (loneliness: z. B. von einer wichtigen Bezugsperson verlassen zu werden) sein. Die helle Einsamkeit führt den Mystiker zu einem möglichst weit gehenden Verzicht auf Beziehungen, Kommunikation, Gespiegeltwerden, sodass „allein Gott genügt“ (sólo Dios basta; Teresa de Jesús von Avila). Einsamkeit und Gemeinsamkeit gehören nicht nur sprachlich zusammen. Der Einsame verkörpert in provozierender Weise den Schatten-Aspekt des sich bindenden Menschen. Diese Schattendynamik bildet die Grundlage für die Symbolhaftigkeit der Einsamkeit. Der Einsame ist in sofern ein Menschheits-Symbol, als er über sich hinaus auf die Nicht-Einsamkeit verweist und gleichzeitig auf die in der "Zweisamkeit" fort bestehende bzw. lauernde Einsamkeit. Dies gilt für den nach dem Verlust des langjährigen Ehepartners allein Bleibenden und einsam Werdenden. Dies gilt ebenso für jene Einsamkeit, die durch selbst gewähltes oder erlittenes Alleinsein zustande kommt. Fallvignette: Ein 22jähriger, unter einer sozialen Phobie leidender Student wünscht eine analytische Behandlung. Allein dies stellt schon ein Paradox dar, weil er durch die Gegenwart des Analytikers viele ihn beschämende Situationen (wieder-)erleben muss / kann, die er bisher vermied. Besonders Kontakte zu Frauen hat er weitgehend zurückgestellt, da er nicht bloß gestellt oder mit anderen verglichen werden möchte, die möglicherweise besser aussehen oder aus anderem Grund attraktiver sein könnten. Nach etwa einjähriger Behandlung berichtet er über Schlafstörungen, die er darauf zurückführt, im Studentenheim am Behandlungsort ein Einzelzimmer zu bewohnen. In seinem Heimatland sei er es hingegen gewohnt gewesen, in Gegenwart anderer zu schlafen. Das habe ihn trotz mancher nächtlicher Störungen beruhigt und ihn besser schlafen lassen als in einem eigenen Zimmer.

Literatur: Im Text angegeben.

Autor: Frick, Eckhard