Dieb

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Keyword: Dieb

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Definition: Ein Dieb (mhd. diep, diup, ahd. diob, viell. eigtl. = der Sichniederkauernde) ist ein Mensch (oder Tier), der fremdes Eigentum heimlich entwendet.

Interpretation: Wer bestohlen wird, kann darauf mit mehr oder minder starken Gefühlen reagieren, nicht nur mit Trauer über das verlorene Eigentum, sondern auch mit anderen Emotionen, vor allem mit Ärger und Scham. Umgekehrt kann der Dieb nicht nur Genugtuung über die erfolgreich ausgeführte Handlung, sondern auch die "diebische" Freude über seine Tat empfinden.

Beide, der Bestohlene und der Dieb, bilden ein archetypisches Paar, in dem es um mehr geht als darum, dass das Diebesgut seinen Besitzer wechselt. Beide sind aufeinander bezogen: ohne Eigentum gäbe es keinen Diebstahl, umgekehrt wird die Eigentümerschaft gerade dann schmerzlich bewusst, wenn sich der Dieb des (ehemaligen) Besitzes bemächtigt hat. Der Dieb ist die Schattenfigur des (Noch-) Besitzers, dessen bewusste Kontrolle er außer Kraft setzt; entweder indem er unerkannt ("verstohlen") handelt, oder auch, indem er Gewalt anwendet. Er oder sie steht in manchem Fällen in der Hochschätzung seiner Beute dem Bestohlenen um nichts nach, z. B. in manchen Fällen von Kunst-Diebstahl.

Das meist frühsozialistisch verstandene Diktum Proud'hons, demzufolge Eigentum und Diebstahl ein und dasselbe seien ("la propriété c'est le vol"), ist in sofern zutiefst richtig, als jeglicher Besitz ein vorläufiger ist, ein Sich-Bemächtigen einer Sache, von der wir zwar sagen, sie gehöre uns, die uns aber durch Diebstahl oder auch Naturgewalten, Zerstörung, Tod jederzeit abhanden kommen kann. Wirkliches Eigentum gibt es Matthäus 6:20 zufolge nur "im Himmel" ("Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen").

Je nach Motiven und wirtschaftlicher Situation sind zu unterscheiden: einerseits der in Geld oder auch nur ideell messbare Wert des Diebesgutes, dem je nach Perspektive Schädigung bzw. Verlust oder aber Bereicherung bzw. Gewinn entsprechen. Im geistigen Diebstahl (Plagiat) geht es streng genommen nur um den ideellen Wert der Urheberschaft: Der Autor möchte, dass seine Ideen in gedruckter oder elektronischer Form verbreitet werden, doch sollen sie mit seinem Namen oder auch Pseudonym verbunden sein. Dem Wert des Diebesgutes steht andererseits seine symbolische Bedeutung gegenüber, die oftmals erst aus dem klinischen Kontext bzw. aus dem geheimen Aufeinander-Bezogensein von Dieb und Diebesgut verständlich wird.

In der alten Psychopathologie wurde der unverständliche, "monomane" Charakter des krankhaften Stehlens ohne Bereicherungstendenz hervorgehoben, dem es nicht um das gestohlene Objekt, sondern um das Stehlen selbst geht.

Interpretation: Erst in einer psychodynamischen Betrachtungsweise wird deutlich, dass im "Kleptomanen" die ansonsten zwischen Dieb und Bestohlenen aufgespaltene Polarität von Schatten und Persona konflikthaft in einer Persönlichkeit vereint ist. Bewusstseinspsychologisch oder juridisch ist das krankhafte Stehlen ein Makel, ein Strafrechts-Delikt. Psychodynamisch gehört der Reiz des Verbotenen zur Kleptomanie. In einer "himmlischen" bzw. ideal-kommunistischen Gesellschaft hingegen wäre auch solches Stehlen nicht nur sinn-, sondern auch reizlos.

Die Tat selbst wird meist als persönlichkeitsfremd empfunden, als dranghaft, überwertig, oder aber als sexualisiert-orgiastisch.

Im Einzelnen können als intrapsychische Beweggründe unterschieden werden: Streben nach narzisstischem Triumphgefühl, oral-kaptative (einverleibende) oder aggressiv-trotzige Impulse, anale Bedürfnisse des Sammelns und Hortens, sadistisch-aggressive oder masochistische Selbstbestrafungs-Tendenzen.

Fallbeispiel: 60jährige, alleinstehende und gepflegt wirkende Frau, die seit 15 Jahren unter episodisch auftretenden Impulsen zu stehlen leidet. Der Anlass zum Kontakt mit dem Psychotherapeuten ist ein erneuter "Rückfall" während einer Bewährungsfrist, sodass die Patientin befürchtet, nunmehr eine Haftstrafe antreten zu müssen. Das dranghafte Stehlen habe nach der Scheidung von ihrem Mann begonnen, den sie aufgrund einer ungewollt eingetretenen Schwangerschaft sehr früh geheiratet hatte. In der Pubertät hatte sie unter Bulimie gelitten und gelegentlich Süßigkeiten gestohlen. Sie habe sich in der Ehe nur gequält und nur wegen ihrer Tochter durchgehalten. Anfangs habe ihr Mann das Kind nicht gemocht und es auch schlecht behandelt, und erst als ihre Tochter in die Pubertät gekommen sei, habe ihr Mann Interesse für sie entwickelt. Plötzlich sei er eifersüchtig auf die Freunde seiner Tochter geworden. Das Kind sei plötzlich sein ein und alles gewesen, sie selbst habe er eher abgeschoben. Aufgrund der zunehmenden Entfremdung, auch in sexueller Hinsicht, trennte sie sich von ihrem Mann. Die Symptomatik setzte etwa zeitgleich mit dem Beginn einer neuen Partnerschaft ein, die inzwischen durch den Tod des Partners zu Ende ging. Seit dieser Zeit stehle sie immer wieder Kleinigkeiten, vor allem Kleidungsstücke. Wenn sie dann ein Geschäft betrete und einen Gegenstand entwende, sei dies ein Gefühl aus Angst und Reiz gleichzeitig. Sie spüre dann einen Druck bzw. eine Beklemmung im Brustbereich, gleichzeitig reize sie jedoch das Risiko erwischt und bestraft zu werden.

Meist stehle sie Unterwäsche, die sie beim Einkauf in einem Lebensmittelmarkt in die Taschen ihres Kunst-Pelzmantels stopft und (im Gegensatz zu den übrigen Waren) an der Kasse weder vorweist noch bezahlt. Die Patientin berichtet den folgenden Wiederholungstraum, den auch ihre Mutter immer wieder geträumt habe: Ich stehe irgendwo – nackt. Irgendwelche Leute sind da. Ich bin dann einfach weggelaufen. Es hat mich sehr mitgenommen! Die Blamage, ich stand nackt da. Die Patientin lebt in eher bescheidenen Verhältnissen. Das Stehlen ist persönlichkeitsfremd, dient nicht der Bereicherung. Es inszeniert die Spannung zwischen der angepassten und geordneten Persona einerseits und dem triebhaft-delinquenten Schattenaspekt andererseits. Das Diebesgut scheint symbolisch das schmerzlich vermisste Liebesobjekt bzw. die narzisstische und konflikthaft erlebte Beschäftigung mit der eigenen Weiblichkeit zu vertreten. Mit der Externalisierung von Selbstbestrafungstendenzen, insbesondere mit deren Delegation an den strengen, ihre Unbotmäßigkeit sanktionierenden Richter, scheint intrapsychisch eine Entlastung verbunden zu sein.

Literatur: Standard, Leygraf et. al. (2003)

Autor: Frick, Eckhard