Analität und Neun: Unterschied zwischen den Seiten

Aus symbolonline.eu
(Unterschied zwischen Seiten)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
K (1 Version importiert)
 
K (1 Version importiert)
 
Zeile 1: Zeile 1:
'''Keyword:''' Analität
'''Keyword:''' Neun


'''Links:''' [[After]], [[Erde]], [[Kot]], [[Materie]], [[Sumpf]], [[Teufel]]
'''Links:''' [[Zahl]]


'''Definition:''' Anal lat."zum After gehörend, den After betreffend".
'''Definition:''' neun: Das gemeingerm. Zahlwort mhd., ahd. niun, got. niun, engl. nine, schwed. nio beruht mit Entsprechungen in den meisten anderen idg. Sprachen auf idg. neuoen - neun, vgl. z. B. aind. náva, lat. novem und griech. ennéa. Das idg. Zahlwort gehört vielleicht zu dem unter neu behandelten idg. Adjektiv. Die Neun wäre dann als òneue Zahlñ (in der dritten Viererreihe) benannt worden, vgl. den Artikel acht.


Symbolik, die mit dem Erleben der psychischen und physischen Besonderheit der analen Phase (ca. 2. und 4. Lebensjahr), den Ausscheidungsvorgängen, dem Ausscheidungsprodukt [[Kot]] und der Afterregion ([[After]]) und der damit verbundenen Sauberkeitserziehung in Verbindung steht.
'''Information:''' Die Neun besitzt die Teiler 1,3 und 9. Aus arithmetischer Sicht ist sie damit echt teilbar und stellt die fünfte ungerade natürliche Zahl dar.  


'''Information:''' In der sogenannten analen Phase (ca. 2. und 4. Lebensjahr) lernt das Kind allmählich seinen Körper zu beherrschen: neben Stehen, Gehen und Sprechen erlangt das Kind allmählich die Kontrolle über seine Stuhl- und Harnentleerung. Werte und Verhalten ordnen sich erstmals zwischen Polaritäten wie Ordnung/Sauberkeit, Unordnung/Schmutz, Selbstbestimmung, Autonomie/Fremdbestimmung und Macht Ohnmacht. Das Kind kann jedoch den elterlichen Anforderungen nach Hergeben seines Stuhls erst unbeschadet nachkommen, wenn es den Schließmuskel im Rahmen seiner motorischen Reifung beherrschen und dem Ich unterstellen kann, was seine natürliche Eigenzeit erfordert. Es erlangt dadurch die Fähigkeit, sich im Hergeben des Stuhls zu verweigern / den Stuhl zu behalten oder die Eltern damit zu "beschenken" / den Stuhl herzugeben.
Vor- und Frühgeschichte: Vergleichende kulturgeschichtliche Forschungen legen nahe, dass die Neun immer in Kulturen mit vorherrschenden Mondgottheiten besondere symbolische Bedeutung bekam.  


Der After wird zum Dreh- und Angelpunkt in der kindlichen Autonomieentwicklung. Hergeben oder behalten des Stuhls können zum ersten Ausdruck anal-aggressiven Protestes werden, der zwar noch keine offene Form der Aggression darstellt, sondern mehr eine Aggression "hintenherum" ist, was in den Begriffen "hinterfotzig" und "stänkern" deutlich wird.
Altes Ägypten und alter Orient: In der Theorie der alten Ägypter wurde ein Kreis zusammengehöriger Götter als Neunheit bezeichnet. Deren erste schufen wahrscheinlich die Priester von Heliopolis. Zu ihr gehörten Atum als Herr der Neunheit und seine Kinder Schu und Tefnut, deren Nachkommen Geb und Nut sowie Osiris, Isis, Seth und Nephthys als Kinder der Nut. Der Begriff der Neunheit wurde später auch auf Götterkreise in anderen Städten angewandt, ohne das die Neunzahl zwingend war. - In der chinesischen Sage von den neun Dreifüssern wird berichtet, dass der mythische Kaiser Yu neun Bronzegefässe vom Typ Ding herstellen liess. Auf ihren Aussenseiten waren die Landkarten der ihm unterstehenden neun Provinzen eingraviert. Diese Dreifüsse sollen der Sage nach später verlorengegangen sein. Sie gelten aber bis heute in der chinesischen Literatur als Symbol der Oberhoheit und Souveränität des Herrschers.


Nach der psychoanalytischen Theorie der fortschreitenden Triebentwicklung des Kindes (mit den Libidostufen oral, anal, phallisch/ genital nach Freud) durchläuft das Kind diese Phase als normales Durchgangsstadium der kindlichen Sexualität. Störungen in diesen Phasen führen zu Neurosen und Fixierungen. Der Bereich der Analität spielt eine besonders wichtige Rolle bei Zwangsneurose, Hypochondrie und Masochismus.
Antike: Da sich die Neun als Viereckszahl figurieren lässt, galt sie im Pythagoreismus als weiblich. Zudem ist sie die Summe der ersten drei ungeraden natürlichen Zahlen (9=1+3+5), die alle als männlich angesehen wurden. Ferner ergab sich die Neun durch die Quarte, denn nur zwei gleiche und gleichgespannte schwingende Saiten im Längenverhältnis 12:9=4:3 brachten diesen Klang hervor. Die zugehörige Proportion verband zudem die Drei und die Vier als die jeweils ersten Vertreter der theoretisch wichtigen Drei- und Viereckszahlen. (Andere figurierte Zahlen waren noch nicht bekannt.) Wegen solcher Eigenschaften wurde die Neun von den Pythagoreern mit der Gerechtigkeit in Verbindung gebracht. - Im ursprünglichen Platonismus bezog man die Neun auf Proportionen, die auf Zahlenbeziehungen der fünf regelmässigen oder kosmischen Körper beruhten (z.B.: 2:3:4=4:6:8=6:9:12= ... 3:4:6:10=9:12:18:30= ..., siehe Sechs und siehe Zwölf). Der spekulative Neoplatonismus hingegen griff verstärkt auf die pythagoreische Zahlensymbolik zurück, liess aber deren mathematischen Gehalt und Hintergrund weitgehend ausser acht.  


Aus Sicht der analytischen Psychologie Erich Neumanns ist der [[Kot]] in der sogen. matriarchalen Phase des Körper- Selbst für das Kind ein wesentlicher Teil seines [[Selbst]], etwas von ihm schöpferisch Gemachtes und gehört zu seiner Körperganzheit. ([[Ganzheit]])
Monotheistische Religionen: Im Alten Testament hat die Neun keine symbolische Bedeutung. Das alphabetische hebräische Ziffernblatt drückte sie durch den neunten Buchstaben Tet aus. Mit diesem Zuordnungsprinzip bestimmten rabbinische Gelehrte lange vor der Zeit der Kabbalisten und ihrer Gematria systematisch den Zahlenwert von Worten und brachten dann solche mit gleicher Quersumme inhaltlich in Verbindung. - Schon Paulus dachte über eien christliche Engellehre nach. Sie wurde aber erst von Dionysius Areopagita geschaffen, der der Legende nach vom Apostel zum Glauben bekehrt worden war. In seiner im 4. Jahrhundert kanonisierten Angelologie bilden die Engelscharen neun Chöre, die in jeweils drei Hierarchien zerfallen. Die oberste berührt unmittelbar Gottes Thron, während die unterste die Verbindung zum Priester herstellt, der die Messe zelebriert. Gemäss der neoplatonischen Auffassung: "Alle Wesen haben Gestalten, weil sie Zahlen haben; nimm ihnen diese und sie werden nichts sein." des Kirchenvaters Augustinus wurde im christlichen Verständnis die Neun zur Zahl der Engel. - Im Islam wurde die Neun dem neunten arabischen Buchstabe Ta zugeordnet, der Gott als Tahir, d.h. als Heiligen kennzeichnet. Seine mystischen Richtungen praktizieren seit ihrer Entstehung ein von der rabbinischen Zahlenspekulation angeregtes Verfahren, das als Hisab al Dschumal -Errechnen der Summe- bezeichnet wird.


Da Körperstoffe (Kot, [[Urin]], Menstrualblut ([[Menstruation]]), [[Haare]], Nägel, Schweiß und [[Samen]]) psychologisch zur Körperganzheit gehören, kommt ihnen ontogenetisch wie auch phylogenetisch eine "magische" Wirkung und Bedeutung zu, die sich als Zauber- und Seelenkraft in Naturreligionen, im Aberglauben und in der Volksmedizin gehalten hat. In einer positiven, frühkindlichen Mutter-Kind-Beziehung kann die Kotabgabe des Kindes als positive Leistung des Kindes und als Geschenk an die Bezugspersonen verstanden werden. Dass Defäzieren und "Machen" sprachlich dasselbe sind, betont die schöpferische Qualität des Analen. Das Kind kann den elterlichen Anforderungen nach Hergeben seines Kots erst unbeschadet nachkommen, wenn es den Schließmuskel im Rahmen seiner motorischen Reifung beherrschen und dem Ich unterstellen kann, was seine Eigenzeit erfordert. Die Abwendung vom Analen erfolge in allen Kulturen aber oft zu früh. Neumann sieht die Folgen einer verfrühten, überfordernden Sauberkeitserziehung in der Ausbildung eines überfordernden Über- Ichs und der Ablehnung des unteren Körperlich/ Instinkthaften. Die Erfahrungen des Kindes in der analen Phase sind jedoch auch prägend für das spätere Erleben und Umgehen mit Besitz, dessen anale Frühstufe die Exkremente sind ([[Kot]] [[Geld]]).
Hermetische Überlieferung: Seit dem Hochmittelalter wird ein Zusammenhang des neunten Himmelshauses mit dem Reisen, dem Gesichtskreis und dem Denken angenommen.  


Das Vorbeigleiten der Exkremente an den Schleimhäuten wird lustvoll erlebt, das Zurückhalten des Kots (im Sinne des Autonomiestrebens) erhöht das Vergnügen beim Ausscheiden durch größere Masse des Kots. Das Kind erlangt die Fähigkeit, sich im Hergeben des Kot zu verweigern, den Kot zu behalten, oder den Kot herzugeben, die Eltern damit zu beschenken. Später werden diese Fähigkeiten auch im Schulverhalten deutlich: keine Leistung zu geben aus Verweigerung oder mit Freude Leistung herzugeben. Eine zu starke Forderung der Eltern an das Kind hat die Verweigerung in sich als Gegenpol. Der wesentliche intrapsychische Konflikt in dieser Phase ist der Konflikt zwischen Abhängigkeit/ Gehorsam (Fremdbestimmung) versus Autonomie (Selbstbestimmung), nach M. Mahler Subphase "Konsolidierung der Individualität".
Mathematik, Naturwissenschaft und Technik: Johannes Kepler deutete das von ihm physikalisch weiterentwickelte heliozentrische System zahlensymbolisch aus. Die Strukturen, die ihm als unbeweglich galten, setzte er zur Heiligen Dreifaltigkeit in Beziehung. Danach entsprachen die Sonne dem schaffenden und lebensspendenden Vater, die Fixsterne dem Sohn und der zwischen ihnen liegende Raum dem Heiligen Geist. In dieser Dreierordnung der kosmischen Ruhe bewegten sich streng gesetzmäßig die sechs Planeten, deren Zahl genau dem Sechstagewerk entsprach. Somit wurde die Neun bei Kepler zum Ganzheitssymbol, das die Trinität und die in ihr vollständig enthaltene Schöpfung bezeichnete. Durch derartige Vorstellungen bekam das neue Weltbild eine theologische Weihe, die der des alten in nichts nachstand. Hierin ist wahrscheinlich der Grund zu suchen, dass sich katholische Herrscher, die nicht von Rom abhängig waren, offen zum päpstlich geächteten heliozentrischen System bekannten (z.B. Ludwig XIV.). Auch wurden die astronomischen Zahlenspekulationen Keplers bereitwillig von den Hermetikern seiner Zeit übernommen und in ihre Systeme der Welterklärung integriert. Durch die Entdeckung von Uranus, Neptun und Pluto entstanden später zwar gewisse Schwierigkeiten, die aber durch Umdeutung beseitigt werden konnten, indem z. B. die kosmische Ganzheitsneun heute auf die bekannten neun Planeten unseres Sonnensystems bezogen wird.


'''Interpretation:''' Die Unterwelt wurde in Mythen immer wieder als Reich des Breiigen und der wabernden Exkremente geschildert ([[Sumpf]] [[Stall]]). Mit Durchfall und Kotausscheidung werde nach Hillmann (Hillmann 1979, S. 169) Ich-Auflösung und Todeswunsch (des Ich?) dargestellt und die Gesetze der Tageswelt aufgehoben. In Mythen, der kleinkindlichen Fantasie und Fantasien psychisch Kranker gibt es jedoch auch die anale Geburt und Zeugung. Jung schildert die Fantasie eines schizophrenen Mannes, in der dieser sich im Schöpfungsakt befindet und die Welt aus seinem After hervortritt. (Jung, GW., Bd. 5, § 277)
Gegenwartssprache und Redewendungen: In der deutschen Gegenwartssprache tritt die Neun in folgenden Redewendungen auf: Alle Neune! (Dieser anerkennende Ausruf vom Kegeln wird auch auf Situationen übertragen, wo auf Grund von Ungeschicklichkeit Dinge geräuschvoll zusammen- oder herunterfallen.); Ach, du grüne Neune! (Ausruf der Verwunderung oder des Erschreckens); jemanden mit der neunschwänzigen Katze (also mit einer Peitsche aus neun Riemen mit je einem endständigen Knoten) drohen; Beethovens Neunte zelebrieren (also Beethovens 9. Sinfonie feierlich oder mustergültig aufführen). Auch erscheint die Neun in den Adjektiven neunmalgescheit, neunmalklug und neunmalweise, die alle drei die gleiche Eigenschaft bezeichnen – nämlich die, alles besser wissen zu wollen. Kinder, die zugleich besserwisserisch und vorlaut sind, nennt man im noch wohlwollenden Sinne neunmalkluge Naseweise.


Die anale Geburt erinnert auch an das mythologische Motiv der Entstehung von Leben durch "Hinter-sich-Werfen". ([[Schöpfung]] [[Ton]]/ Lehm). In Kinder- und Jugendlichentherapien weist die intensive Beschäftigung mit Ton, Knete und Fingerfarben in die anale Phase und kann als Annäherung an Schattenaspekte, Versuch der Bewältigung und Abreaktion verstanden werden.
Beispiel: Ein Träumer kam in einem Fahrstuhl, der sich von oben nach unten bewegte, vom siebenten über das achte zum neunten Stockwerk. Zwischen den beiden letzten Etagen befand sich noch ein besonderer Raum, über dessen Beschaffenheit und Inhalt er nichts zu sagen wusste. Der Durchlaufsinn mit der verkehrten Reihenfolge der Stockwerke bezeichnete im Traum zugleich das Durcharbeiten der Komplexe in der Therapie und seine homoerotischen Regungen, während der besondere Raum bisher sorgfältig Verschwiegenes symbolisierte, das der erhofften Genesung und dem erwünschten Neubeginn – ausgedrückt durch das Ankommen in der neunten Etage – entgegen stand.


Jedoch auch durch das Übertragungs- Gegenübertragungsgeschehen und in Gesellschaftsspielen kann die anale Dynamik in der Polarität: "Anhäufen, drauf sitzen bleiben, Verweigern-Behalten" versus "Hergeben-Verschenken" in die Darstellung kommen. Hierzu eignen sich auch Spiele, deren Ziel das Anhäufen von Geld und Besitz ("Monopoly", "Spiel des Lebens") oder Ausgeben-Verjubeln von Geld ("Mankomania-Wie verjubelt man eine Million") ist.
'''Literatur:''' Standard


Das Zentralerleben bei analer Störung ist das Herstellen eines Gefälles von Macht-Ohnmacht, Besitz-Verlust und Sadismus-Masochismus.
'''Autor:''' Fritzsche, Bernd; Heinke, Ellen
 
Auch in der Dynamik des Lösens von [[Rätseln]] und [[Geheimnissen]] ([[Geheimnis]]) gibt es anale Komponenten. Beim sogen."analen Charakter", der Charakterzwangsneurose, sind Charakterzüge wie übertriebene Sparsamkeit, Sauberkeit, Rigidität, Überkorrektheit und Ordentlichkeit als neurotische Fehlentwicklung, z. Tl. aber auch als Resultat von Wertvorstellungen und rigiden Erziehungsvorstellungen unserer Leistungsgesellschaft anzutreffen.
 
Der untere "animalische" Trieb- und Instinktbereich wird in unserer Kultur entsprechend der Werte und Normen immer noch als primitiver und minderwertiger gegenüber den höheren, geistigen Werten angesehen, von daher entwertet, tabuisiert und zum kollektiven Schatten.
 
Der anale Bereich und der des Darms wurde in Mythen und im Altertum auch immer mit dem Bereich der Unterwelt verglichen. Der Bereich der Analität gehört jedoch zum archetypischen Bereich des Mütterlich-Weiblichen mit seiner erdhaften Symbolik des Wachstums und Verwandelbarkeit der Materie. Die Analität stellt für das Kleinkind in seiner Entwicklung einen ersten Ansatz zu (anal-) aggressiven Möglichkeiten dar, als Möglichkeit des Nein-Sagens, der Verweigerung und schafft Machtgefühl und Ansätze zum Trotz, die das Kind unabhängiger machen und ihm helfen, sich aus der Mutter-Kind-Einheit zu lösen. Im Rückzug auf die Beschäftigung mit dem Analen wird für den Menschen eine eigene Intimität geschaffen, da Analität oft noch als intimer erlebt wird als die [[Sexualität]]. Sie ist Symbol des Geheimnisses, aber auch des Unheimlichen.
 
'''Literatur:''' Standard, Hillman (1979)
 
'''Autor:''' Kuptz-Klimpel, Annette

Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Neun

Links: Zahl

Definition: neun: Das gemeingerm. Zahlwort mhd., ahd. niun, got. niun, engl. nine, schwed. nio beruht mit Entsprechungen in den meisten anderen idg. Sprachen auf idg. neuoen - neun, vgl. z. B. aind. náva, lat. novem und griech. ennéa. Das idg. Zahlwort gehört vielleicht zu dem unter neu behandelten idg. Adjektiv. Die Neun wäre dann als òneue Zahlñ (in der dritten Viererreihe) benannt worden, vgl. den Artikel acht.

Information: Die Neun besitzt die Teiler 1,3 und 9. Aus arithmetischer Sicht ist sie damit echt teilbar und stellt die fünfte ungerade natürliche Zahl dar.

Vor- und Frühgeschichte: Vergleichende kulturgeschichtliche Forschungen legen nahe, dass die Neun immer in Kulturen mit vorherrschenden Mondgottheiten besondere symbolische Bedeutung bekam.

Altes Ägypten und alter Orient: In der Theorie der alten Ägypter wurde ein Kreis zusammengehöriger Götter als Neunheit bezeichnet. Deren erste schufen wahrscheinlich die Priester von Heliopolis. Zu ihr gehörten Atum als Herr der Neunheit und seine Kinder Schu und Tefnut, deren Nachkommen Geb und Nut sowie Osiris, Isis, Seth und Nephthys als Kinder der Nut. Der Begriff der Neunheit wurde später auch auf Götterkreise in anderen Städten angewandt, ohne das die Neunzahl zwingend war. - In der chinesischen Sage von den neun Dreifüssern wird berichtet, dass der mythische Kaiser Yu neun Bronzegefässe vom Typ Ding herstellen liess. Auf ihren Aussenseiten waren die Landkarten der ihm unterstehenden neun Provinzen eingraviert. Diese Dreifüsse sollen der Sage nach später verlorengegangen sein. Sie gelten aber bis heute in der chinesischen Literatur als Symbol der Oberhoheit und Souveränität des Herrschers.

Antike: Da sich die Neun als Viereckszahl figurieren lässt, galt sie im Pythagoreismus als weiblich. Zudem ist sie die Summe der ersten drei ungeraden natürlichen Zahlen (9=1+3+5), die alle als männlich angesehen wurden. Ferner ergab sich die Neun durch die Quarte, denn nur zwei gleiche und gleichgespannte schwingende Saiten im Längenverhältnis 12:9=4:3 brachten diesen Klang hervor. Die zugehörige Proportion verband zudem die Drei und die Vier als die jeweils ersten Vertreter der theoretisch wichtigen Drei- und Viereckszahlen. (Andere figurierte Zahlen waren noch nicht bekannt.) Wegen solcher Eigenschaften wurde die Neun von den Pythagoreern mit der Gerechtigkeit in Verbindung gebracht. - Im ursprünglichen Platonismus bezog man die Neun auf Proportionen, die auf Zahlenbeziehungen der fünf regelmässigen oder kosmischen Körper beruhten (z.B.: 2:3:4=4:6:8=6:9:12= ... 3:4:6:10=9:12:18:30= ..., siehe Sechs und siehe Zwölf). Der spekulative Neoplatonismus hingegen griff verstärkt auf die pythagoreische Zahlensymbolik zurück, liess aber deren mathematischen Gehalt und Hintergrund weitgehend ausser acht.

Monotheistische Religionen: Im Alten Testament hat die Neun keine symbolische Bedeutung. Das alphabetische hebräische Ziffernblatt drückte sie durch den neunten Buchstaben Tet aus. Mit diesem Zuordnungsprinzip bestimmten rabbinische Gelehrte lange vor der Zeit der Kabbalisten und ihrer Gematria systematisch den Zahlenwert von Worten und brachten dann solche mit gleicher Quersumme inhaltlich in Verbindung. - Schon Paulus dachte über eien christliche Engellehre nach. Sie wurde aber erst von Dionysius Areopagita geschaffen, der der Legende nach vom Apostel zum Glauben bekehrt worden war. In seiner im 4. Jahrhundert kanonisierten Angelologie bilden die Engelscharen neun Chöre, die in jeweils drei Hierarchien zerfallen. Die oberste berührt unmittelbar Gottes Thron, während die unterste die Verbindung zum Priester herstellt, der die Messe zelebriert. Gemäss der neoplatonischen Auffassung: "Alle Wesen haben Gestalten, weil sie Zahlen haben; nimm ihnen diese und sie werden nichts sein." des Kirchenvaters Augustinus wurde im christlichen Verständnis die Neun zur Zahl der Engel. - Im Islam wurde die Neun dem neunten arabischen Buchstabe Ta zugeordnet, der Gott als Tahir, d.h. als Heiligen kennzeichnet. Seine mystischen Richtungen praktizieren seit ihrer Entstehung ein von der rabbinischen Zahlenspekulation angeregtes Verfahren, das als Hisab al Dschumal -Errechnen der Summe- bezeichnet wird.

Hermetische Überlieferung: Seit dem Hochmittelalter wird ein Zusammenhang des neunten Himmelshauses mit dem Reisen, dem Gesichtskreis und dem Denken angenommen.

Mathematik, Naturwissenschaft und Technik: Johannes Kepler deutete das von ihm physikalisch weiterentwickelte heliozentrische System zahlensymbolisch aus. Die Strukturen, die ihm als unbeweglich galten, setzte er zur Heiligen Dreifaltigkeit in Beziehung. Danach entsprachen die Sonne dem schaffenden und lebensspendenden Vater, die Fixsterne dem Sohn und der zwischen ihnen liegende Raum dem Heiligen Geist. In dieser Dreierordnung der kosmischen Ruhe bewegten sich streng gesetzmäßig die sechs Planeten, deren Zahl genau dem Sechstagewerk entsprach. Somit wurde die Neun bei Kepler zum Ganzheitssymbol, das die Trinität und die in ihr vollständig enthaltene Schöpfung bezeichnete. Durch derartige Vorstellungen bekam das neue Weltbild eine theologische Weihe, die der des alten in nichts nachstand. Hierin ist wahrscheinlich der Grund zu suchen, dass sich katholische Herrscher, die nicht von Rom abhängig waren, offen zum päpstlich geächteten heliozentrischen System bekannten (z.B. Ludwig XIV.). Auch wurden die astronomischen Zahlenspekulationen Keplers bereitwillig von den Hermetikern seiner Zeit übernommen und in ihre Systeme der Welterklärung integriert. Durch die Entdeckung von Uranus, Neptun und Pluto entstanden später zwar gewisse Schwierigkeiten, die aber durch Umdeutung beseitigt werden konnten, indem z. B. die kosmische Ganzheitsneun heute auf die bekannten neun Planeten unseres Sonnensystems bezogen wird.

Gegenwartssprache und Redewendungen: In der deutschen Gegenwartssprache tritt die Neun in folgenden Redewendungen auf: Alle Neune! (Dieser anerkennende Ausruf vom Kegeln wird auch auf Situationen übertragen, wo auf Grund von Ungeschicklichkeit Dinge geräuschvoll zusammen- oder herunterfallen.); Ach, du grüne Neune! (Ausruf der Verwunderung oder des Erschreckens); jemanden mit der neunschwänzigen Katze (also mit einer Peitsche aus neun Riemen mit je einem endständigen Knoten) drohen; Beethovens Neunte zelebrieren (also Beethovens 9. Sinfonie feierlich oder mustergültig aufführen). Auch erscheint die Neun in den Adjektiven neunmalgescheit, neunmalklug und neunmalweise, die alle drei die gleiche Eigenschaft bezeichnen – nämlich die, alles besser wissen zu wollen. Kinder, die zugleich besserwisserisch und vorlaut sind, nennt man im noch wohlwollenden Sinne neunmalkluge Naseweise.

Beispiel: Ein Träumer kam in einem Fahrstuhl, der sich von oben nach unten bewegte, vom siebenten über das achte zum neunten Stockwerk. Zwischen den beiden letzten Etagen befand sich noch ein besonderer Raum, über dessen Beschaffenheit und Inhalt er nichts zu sagen wusste. Der Durchlaufsinn mit der verkehrten Reihenfolge der Stockwerke bezeichnete im Traum zugleich das Durcharbeiten der Komplexe in der Therapie und seine homoerotischen Regungen, während der besondere Raum bisher sorgfältig Verschwiegenes symbolisierte, das der erhofften Genesung und dem erwünschten Neubeginn – ausgedrückt durch das Ankommen in der neunten Etage – entgegen stand.

Literatur: Standard

Autor: Fritzsche, Bernd; Heinke, Ellen