Koitus

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Keyword: Koitus

Links: Coniunctio

Definition: Der Koitus bezeichnet den Geschlechtsverkehr zwischen zwei Menschen. Etymologisch stammt das Wort Koitus aus dem Lateinischen coitus, "das Zusammengehen, -kommen, eine Substantivbildung zu lat. coire zusammengehen, -treffen, -kommen, sich paaren, begatten".

Information: Das sexuellen Begehren und das Streben nach sexueller Vereinigung ist ein Grundelement der menschlichen Existenz. So ist es zu bestaunen, aber nicht verwunderlich, wie in allen Kulturen und zu allen Zeiten das zeugende und auf diese Weise fruchtbare Paar Gegenstand der Kunst, der Verehrung, der Reglementierung und der Fantasien ist.

Mythologisch steht das zeugende Paar am Anfang einiger Schöpfungsmythen. Zu nennen ist hier das Götterpaar: Rhea und Kronos oder das germanische Paar Odin und Freya. Die jüdische Tradition und das Alte Testament kennen Adam und Eva. Daneben sind auch Adam und Lilith bekannt, doch damit fängt bereits die Spaltungsgeschichte von Frauengestalten an. Klassisch ist die Geschichte vom Aristophanes, der im Gastmahl über die Liebe von den vierbeinigen Menschenwesen spricht, die wegen ihrer Hybris von Zeus geteilt wurden. Seitdem suche stets der eine Zweibeiner den anderen. So suchen sich in Abhängigkeit vom ursprünglichen Menschenwesen zwei Männer, zwei Frauen oder ein Mann und eine Frau. (Platon, Das Gastmahl)

In der Kunst ist die Gestaltung des Koitus ein beliebtes und zugleich in Abhängigkeit von der jeweiligen Kultur ein religiöses oder ein tabuisiertes Thema. So finden wir in den indischen hinduistischen Tempelanlagen von Khajuraho (Frederic, 1993) aus dem 9. bis 12. Jahrhundert eine hochentwickelte erotische Darstellung von Frauen, Männern und Paaren in vollzogener Kopulation. All dies ist als Verehrung der hinduistischen Gottheiten und der Fruchtbarkeit zu verstehen (ebenda). Wird das Thema verboten, blüht es im Geheimen. "Sexualität drängt nach koitalem Vollzug und entzieht sich folgerichtig allen veränderlichen moralischen Kriterien." (Geerdes, 1993, S. 50)

Interpretation: Jung beschreibt das Paar, dass sich in immerwährender Kohabitation befindet. Als Beispiel erwähnt er das Lingam-Yoni Symbol. (Jung, 1912, S. 210, GW Bd 5, § 306) "Aber die Natur der religiösen Kräfte ändert sich nicht von Säkulum zu Säkulum; wenn man sich einmal einen tüchtigen Eindruck geholt hat vom Sexualgehalt antiker Kulte und wenn man sich vorstellt, dass das religiöse Erlebnis, nämlich die Vereinigung mit dem Gott vom Altertum als ein mehr oder weniger konkreter Koitus aufgefasst wurde, dann kann man sich wahrhaftig nicht mehr einbilden, dass die Triebkräfte der Religion post Christum natum nun plötzlich ganz andere geworden seien; [...] Das Christentum mit seiner Verdrängung des manifest Sexuellen ist das Negativ des antiken Sexualkultus. Der ursprüngliche Kultus hat sein Vorzeichen geändert." (Jung, Wandlungen und Symbole, 1912, S. 226, 227)

Tiefenpsychologisch/analytisch: Die von Freud (1918) beschriebene Urszenenfantasie ist das innere Bild eines jeden Menschen, wie er selbst gezeugt wurde. Darüber hinaus ist es die Fantasie, wie seine oder ihre Eltern miteinander sexuell verkehren. Die Koitusfantasie ist die konzentrierteste Darstellung einer Zweierbeziehung als innerpsychische Repräsentanz. Dieses innere Objekt bestimmt wesentlich die seelische Befindlichkeit des jeweiligen Trägers, ist sie doch unbewusste oder auch vorbewusste Orientierung für die Gestaltung von realen anderen wichtigen Beziehungen.

Das Konzept der elterlichen Koitusszene als inneres Objekt zu verstehen, geht auf Melanie Klein (1928, vgl. Britton, 2003) zurück. Das Kind fühlt sich mit der Urszenenfantasie von den Eltern ausgeschlossen und gleichzeitig besitzen Vater und Mutter den Penis und die Brust, die das Kind begehrt. "Winnicott (1984) meint, dass die Fähigkeit zum Alleinsein von der Fähigkeit des Individuums abhänge, die durch die Urszene geweckten Gefühle zu bewältigen. Bauridl (1988) interpretiert, Kinder würden den Ausschluss aus der Urszene nur dann als narzisstische Kränkung erleben, wenn eine Ersatzpartnerschaft zu einem Elternteil vorliege." (Kuptz-Klimpel in Müller, WB d AP, S. 448)

Während sich die Urszene auf Fantasien zur sexuellen Beziehung der Eltern beschränkt, bezeichnet die Inzestfantasie und mit ihr das Inzesttabu die sexuellen Beziehungen zwischen allen anderen Familienangehörigen.

In der Analytischen Psychologie wird der Koitus symbolisch als unbewusste Fantasie und archetypisch als Coniunctio verstanden. Der Koitus steht so als Überschrift, dem die Konzepte der Urszene und der Inzestfantasien als Teile vom Ganzen zugeordnet werden können. Jung schreibt als eines seiner Hauptwerke das "Mysterium coniunctionis": "Die in der coniunctio sich verbindenden Faktoren sind als Gegensätze gedacht, die sich entweder feindlich gegenüberstehen oder sich liebend gegenseitig anziehen. (Jung, GW 14, §1) Diese Gegensätze sind zum Beispiel: lebendig-tot, gut-böse, männlich-weiblich, Himmel-Erde, hell-dunkel, offenbar-verborgen. Der analoge Dualismus von Lebenstrieb und Todestrieb von Freud ist naheliegend. Im Zentrum steht für Jung das "archetypische Drama von Tod und Wiedergeburt in der coniunctio oppositorum [...], beziehungsweise welche menschlichen Uraffekte bei diesem Problem aufeinanderprallen." (Jung GW 14 §34)

Auch der alchemistische Wandlungsprozess, in dem Mann und Frau, König und Königin zusammen in den Brunnen steigen, miteinander verschmelzen, sterben und ein Kind, neues Leben, erzeugen, gibt ein Beispiel für die Wandlungskraft des symbolischen Koitus (vgl. Jung, Psychologie der Übertragung, 1946).

Beispiele aus der Psychotherapie: Ein dreißigjähriger Patient verliebte sich in seine Analytikerin. In seiner Fantasie kam es zum Koitus. Kurze Zeit später waren kleine Katzen im Nest gewesen. Sie bedeuteten ihm die aufkommende Selbst ändigkeit. Zugleich war er froh, keine Kinder mit ihr zu haben, weil er so sich weniger von ihr vereinnahmt fühlte. Hier klingt die Sohn-Mutter-Inzest Beziehung an, die ödipaler Wunsch ist und zugleich gefürchtet und tabuisiert ist.

Ein vierzigjähriger Patient verliebte sich in seinen Analytiker. Als es in der Fantasie zur homosexuellen Beziehung, zur analen Penetration kam, war damit das Erleben der Befruchtung des jungen Mannes durch den erfahrenen väterlichen Mann verbunden. In einem anderen Abschnitt der Analyse erlebte er den Analytiker als sicheren Vater, der nicht sexuell übergriffig war. Der Patient gewann damit an männlicher Sicherheit und Identität.

Eine dreißigjährige Patientin hatte die Fantasie, dass ihre Eltern entweder gar keinen sexuellen Verkehr hätten oder der Vater die Mutter vergewaltige. (Urszenenfantasie) Sie hatte dementsprechend furchtbare Angst vor jedem potenziellen Liebhaber. Das wiederholte sich auch in der übertragenen Beziehung auf ihren Analytiker. Erst als sie dem Analytiker sich auch mit ihrem Begehren anvertrauen konnte und dieser die adoleszente Tochter als sicherer und nicht sexualisierender Vater annehmen konnte, war sie in der Lage, sich von der Vergewaltigungsfantasie als Teil des mütterlichen Erbes zu distanzieren, zu entidentifizieren. Damit wurde sie frei für eigenes Begehren und für eigene Grenzen.

Literatur: Standard

Autor: Alder, Stefan