Schrift

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Keyword: Schrift

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Definition: Schrift (ahd. scrift, von lat. scriptum, scribere: schreiben, mit dem Griffel einritzen) bedeutet 1. allgemein vereinbarte grafische Zeichen mit denen Sprache visuell dargestellt, dadurch fixiert, lesbar und transportierbar wird. Schrift erzeugt die bis heute unverzichtbaren Kulturtechniken Lesen und Schreiben. 2. versteht man unter einer Schrift die schriftliche Darstellung, Abhandlung z. B. politischen, philosophischen, wissenschaftlichen Inhalts. 3. meint Schrift die individuelle Art und Ausprägung des Geschriebenen (blasse, krakelige Schrift, Schrifttyp etc.).

Information: Die Entwicklung der Schrift ermöglicht Transport von sakralem und profanen Wissen und Gesetz über alle räumlichen und zeitlichen Grenzen. Schrift unterstützt das Gedächtnis und macht über die mündliche Sprache hinaus verbindlich und gültig.

Interpretation: Schrift ist mehr als die gesprochene Sprache Ausdruck eines sich entwickelnden rationalen, nach Wissen, Klarheit, Gesetz und Macht, zugleich nach Bewegung, Ausdehnung, Kommunikation und Grenzüberschreitung strebenden Bewusstseins. Mythen und Religionen sehen die Schrift als göttlich bzw. schreiben sie göttlicher Herkunft zu: Gott der Schreiber in Ägypten ist Thot, der zugleich Hermes ist (Tabula Smaragdina). In Babylon schreibt Marduks Sohn Nebo das Schicksal der Menschen mit dem Schicksals-Griffel und gibt den Menschen die Schrift Im Indischen wird sie Sarasvati, Brahmas Gattin, Herrscherin über alles, was strömt, zugeschrieben. In der germanischen Mythologie stammen die Runen von Odin. Im Judentum werden die Gebote "vom Finger Gottes" auf zwei "steinerne Tafeln" geschrieben (2. Mos., 18). Die Schriftrolle ist ein Symbol für Wissen. Im Islam erfindet Gott die Buchstaben und offenbart sie Adam.

Schrift ermöglicht Traditionen zu bewahren, Zeugnis abzulegen, aus narzisstischen, aus moralischen, aus politischen, aus sozialen und emotionalen Motiven (Codex Hammurabi, Grabinschriften). Bibel und Koran werden Heilige Schrift genannt und von Schriftgelehrten ausgelegt. Predigten, Gesetzestreue und Moralisten betonen: "Es steht geschrieben." Bedeutende Persönlichkeiten können jetzt Geschichte schreiben. Hiob wünscht sich “Oh das aufgeschrieben würden, in ein Buch verzeichnet meine Worte! mit eisernem Griffel und mit Blei auf ewig in den Felsen eingegraben” (Hiob 19, 23f).

Zeichen zur Gedächtnisstütze z. B. bei der Eintreibung von Zinsen und Abgaben sind schon vor mehr als 5000 Jahren als konkret-gegenständliche Hilfen entwickelt worden, z. B. Kerben auf Holz und Tontafeln. Etwas auf dem Kerbholz haben bedeutete anfänglich ganz konkret, dass auf dem dafür benutzten Holz Schulden eingekerbt waren. Heute werden für Rechtsgeschäfte aller Art Verträge, Abkommen, Akten, Register und Vorschriften geschrieben, auf Bankkonten Gut- und Lastschriften eingetragen, Ärzte schreiben krank. Wer sich etwas ins Stammbuch schreiben soll, der wird heftig kritisiert. Sich etwas hinter die Löffel oder hinter die Ohren zu schreiben bedeutet, es sich gut zu merken, wohingegen man etwas aufgegeben hat, wenn man es in den Rauch, in den Wind, in den Schornstein oder in den Mond schreibt. Ur- und Erstschriften von Kunstwerken oder andere bedeutende Original-Schriften haben hohen ideelen, emotionalen und materiellen Wert. Ist man ganz sicher, kann man es schriftlich geben und mit Unterschriften besiegeln. Unterschrift und Handschrift sind Ausdruck von Persönlichkeit bzw. Identität.

Schrift ermöglicht zwar das Fixieren und Behalten von Informationen ("Denn was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.", Goethe in Faust), erleichtert aber auch Täuschung und Betrug, denn Schreiber und Leser sind nicht auf persönliche Begegnung angewiesen. Kommunikation wird so einerseits störungsfreier, unabhängig von ihrem Beziehungsaspekt und Kontext, andererseits missverständlicher und anfällig für Interpretationsfehler, Täuschungen und Projektionen. Hermeneutik und Exegese haben sich deshalb zu wissenschaftlichen Disziplinen entwickelt, die Interpretation von Texten ist mit dem Verfassen von Texten der zentrale Inhalt des muttersprachlichen Unterrichts, sobald Lesen und Schreiben im Anfangsunterricht erlernt worden sind. Eine unsichere oder falsche Information schriftlich weiterzugeben, kann leichter sein, als sie Aug in Aug mitzuteilen, denn Affekte und Emotionen und Gedanken stehen einem "ins Gesicht" oder auf "der Stirn" geschrieben. In Geschichte, Politik, Alltag, in Literatur und Film spielen oft gefälschte Urkunden, intrigant zugespielte Pläne, und Botschaften, verwechselte Briefe schicksalhaft mit. In Zauberei, Kinder- und Spionagegeschichten und in Wunschfantasien verfügen Helden manchmal über magische Schriften, die unsichtbar werden und wieder erscheinen.

Göttliche Botschaften oder Mitteilungen des Über-Ichs können z. B. im Traum als magische Schrift erscheinen, Rätsel aufgeben, Schrecken verbreiten: Dem babylonischen König Belsazzar erscheinen bei einem Gastmahl Finger einer Menschenhand, die in unbekannter Schrift eine geheimnisvolle Botschaft an die getünchte Wand seines Palastes schreiben. H. Heine gestaltet das: "Und sieh! und sieh! an weißer Wand. Da kam's hervor wie Menschenhand; Und schrieb, und schrieb an weißer Wand. Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand."

Horrorfilme und Thriller, vor allem, wenn sie sich mit Magie, religiösen Psychopathen und mit Teufels- und Satanswesen beschäftigen, benutzen - manchmal mit Blut - an Wände geschriebene Zeichen und Chiffren. In Träumen begegnet man manchmal Inschriften oder unvollständigen Texten, die man aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr oder noch nicht lesen kann. In der Transaktionsanalyse wird bildhaft vom Skript - dem stabilen unbewussten Lebensplan, basierend auf Entscheidungen in der Kindheit ausgegangen. Therapie zielt durch spezifische Interaktionen auf dessen Bewusstwerdung und Veränderung.

Schrift trägt zur Bewusstseinsentwicklung bei. Gedanken in einem Text zu entwerfen, zu fassen, zu formulieren, konfrontiert, strukturiert und klärt Sachverhalte und Beziehungen. Tagebuch und Traumtagebuch, Lebenserinnerungen, Briefe an imaginäre oder tote Personen, nicht abgeschickte und abgeschickte Briefe in Konfliktsituationen haben oft therapeutischen Nutzen. Konzepte (lat. conceptus: Zusammenfassen; 1. Entwurf eines Schriftstücks, 2. Plan für ein Vorhaben) entwickeln sich schreibend. Wer beim Sprechen oder Handeln aus dem Konzept kommt, ist verwirrt, weiß nicht mehr, was er will. Durch Schreiben können neue Gedanken, bisher unbewusste Konflikte, neue Ideen und Symbole entstehen, kann real Unsagbares formuliert werden. Medial Begabte und Dichter des Symbolismus und Surrealismus benutzen die Technik des Automatischen Schreiben.

Jugendliche können sich manchmal anderen über ihre Tagebucheinträge und Blogs, ihre Briefe, E-Mails und Gedichte öffnen, ohne zu viel bewusst von sich zu verraten. Manchmal lassen sie solches Material offen zu Hause liegen, wenn sie ihre Situation nicht anders offenbaren können. Die Bezugspersonen können über solche Fehlleistungen Kenntnis von den Fragen und Konflikten erhalten. Eine 19jährige junge Frau mit Alkoholproblemen "vergisst" ihre "schwarzen Gedichte" im Bad, in denen sie ihre verzweifelte Situation zum Ausdruck bringt. Ein Zwanzigjähriger "vergisst", den Briefkasten zu leeren, obwohl er weiß, dass darin eine von ihm bestellte Sado-Maso-Illustrierte liegt.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Anette