Raum

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Keyword: Raum

Links: Bauwerk, Haus, Initiation, Kosmos, Platz, Temenos, Tür

Definition: Raum (mhd., ahd. rum = Substantivierung des im nhd. veralteten Adjektivs rume, rumi = weit, geräumig) bezeichnet in der Architektur den von Wänden, Boden und Decke umschlossenen Teil eines Gebäudes zum Wohnen oder anderweitiger Nutzung. In der Physik wird mit Raum die Ausdehnung bzw. Weite bezeichnet, die alle Dinge enthält, in der Mathematik wird der Raum durch Länge, Breite und Höhe bestimmt.

Information: Der Kosmos ist ein unendlicher Raum. Im philosophischen Sinn bestimmen Raum und Zeit die Form des menschlichen Denkens. Raum kann der für einen Zweck zur Verfügung stehende Platz sein (Raum einnehmen, Raum schaffen). Fragen können im Raum stehen, d. h. unerledigt sein und nach Diskussion oder Lösung verlangen. Man kann einer Sache auch Raum geben, d. h. sie sich entfalten lassen. Tempel und Kirchen sind geweihte Räume, in denen sich Himmel und Erde, Diesseits und "Jenseits", Gott und Mensch begegnen und eine Kommunikation zwischen ihnen möglich wird.

Interpretation: Psychologisch besonders aufschlussreich sind die vergessenen, geheimen, verborgenen, tabuisierten Räume, die die Heldinnen und Helden in Märchen und Mythen zwar oft nicht betreten sollen, aber gerade, weil sie besondere Menschen mit besonderem Auftrag sind, betreten müssen. In diesen verbotenen Räumen finden sich nämlich sowohl kollektiv als auch individuell verdrängte Erfahrungen, traumatische Erinnerungen, Geheimnisse, vergessene Werte bzw. Schätze, die unbedingt aus der Verschlossenheit ans Licht geholt werden müssen, damit eine Situation sich zum Besseren entwickeln kann. Es handelt sich beim Betreten des verbotenen Raums um das Motiv der Initiation, die meist auch mit einem Tabubruch verbunden ist. Der Initiant muss durch diesen beweisen, dass er in der Lage ist, sich vom elterlichen Schutz aber auch den elterlichen Normen zu lösen, Angst und Schrecken auszuhalten, ohne zu fliehen, auf sich selbst zu vertrauen und dem dunklen Unbekannten seiner eigenen Seele zu begegnen.

Klassische dazu gehörende Muster sind die Heldenreise und die Nachtmeerfahrt, bei denen es darum geht, seltene oder bisher unerschlossene Räume zu erkunden oder sich in eine dunkle Tiefe, in einen Abgrund, eine Höhle, die Unterwelt hineinzuwagen, um etwas zu erlösen oder ans Licht (des Bewusstseins) zu bringen. Sehr oft handelt es sich beim modernen Menschen bei dem, was in der Tiefe zu finden ist, um ganz archaische Naturkräfte, von denen er sich entfremdet hat oder um religiöse Werte, die ihm verloren gegangen sind.

Erinnert sei an den Phallustraum von C. G. Jung, in dem sich das Archaische und das Religiöse verbinden. Jung berichtet auch von anderen Initiationsträumen, z. B. einem, der ihn auf die Auseinandersetzung mit der Alchemie vorbereitet: Neben seinem Haus stand in diesem Traum ein anderes, ein anderer Flügel oder Anbau, den er noch nicht kannte. Schließlich entdeckte er dort eine wunderbare Bibliothek, die zum großen Teil aus dem 16. und aus dem 17. Jahrhundert stammte. Große dicke Folianten, in Schweinsleder gebunden, standen an den Wänden. Unter ihnen gab es etliche, die mit Kupferstichen von seltsamer Natur verziert waren und Abbildungen wunderlicher Symbole enthielten, wie er sie noch nie gesehen hatte. Jung kommentiert: "Der mir unbekannte Flügel ist ein Teil meiner Persönlichkeit, ein Aspekt meiner selbst; er stellt etwas dar, das zu mir gehört, mir aber damals noch nicht bewusst war. Er und besonders die Bibliothek bezogen sich auf die Alchemie, die ich ebenfalls noch nicht kannte, deren Studium mir aber bevorstand. Etwa fünfzehn Jahre später hatte ich eine einigermaßen ähnliche Bibliothek in Wirklichkeit gesammelt." (C. G. Jung, Erinnerungen, S. 205)

Literatur: Standard, Riedel (1996)

Autor: Müller, Anette