Gorgo

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Keyword: Gorgo

Links: Auge, Bios-Prinzip, Erde, Macht, Mond, Mutter, Große, Schlange, Unbewusstes

Definition: Die Gorgonen sind sehr alte Gottheiten, die schon lange vor der klassischen Zeit in Griechenland verehrt wurden.

Information: Ein erster Zugang zu ihrer Charakterisierung ergibt sich aus ihrer Genealogie, wie sie der Dichter Hesiod in seinem Werk "Theogonie" (="Götterentstehung") aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert verfasste. In dieser Erzählung vom Ursprung der Welt stellt Gaia, die Mutter Erde, eines der Urprinzipien des Kosmos neben Chaos und Eros dar. Aus ihr gehen parthenogen, d. h. ohne Befruchtung durch einen männlichen Samen, Pontos, "das Meer", Uranos-, "der Himmel", und die großen Gebirge hervor. Gaia gebärt dem Pontos nicht nur Nereus, Thaumas und Eurybie, sondern auch Phorkys, den "grauen Alten", und Keto, die "Ungeheuerliche", die für die Griechen die fürchterlichsten und abstoßendsten Erscheinungen des Meeres verkörpern. Der Verbindung dieses Paares entstammen neben anderen Dämonen, Drachen, Spukgestalten und Ungeheuern auch die drei Gorgonen. Diese bedeuten für die Bewohner des östlichen Mittelmeerraumes die Gefahren des weitgehend unbekannten Westens. Sie werden mit Flügeln, Haaren und Gürteln voller Schlangen sowie mit Eberhauern, Bärten und herausgestreckten Zungen vorgestellt, und erscheinen so als Symbole der Ur Macht des weiblich Furchtbaren. Das griechische Wort "gorgo" heißt übersetzt: "die Schreckliche". Sprachverwandt damit ist im Sanskrit "garj" (= "schreien, drohen"), von dem das deutsche "grunzen" abgeleitet sein könnte, was auf die Sphäre des Schweins und seiner Sinnbildlichkeit verweisen dürfte. Im Indogermanischen ist "gorgo" die "furchtbar Brüllende". Aus dieser Grundbedeutung heraus entwickelte sich bei den Griechen die allgemeine Vorstellung des Furchtbaren mit besonderer Hervorhebung des „Wilden“ im Blick.

Hesiod erzählt, dass die Gorgonen jenseits des Okeanos, hinter dem Bereich der Graien, beim Garten der Hesperiden wo die Nacht beginnt, in Kisthene wohnten, das auch "Land der Felsenrosen" genannt wurde. Weder Sonne noch Mond scheinen hier; in diesem Reich der Finsternis gibt es nur weglose Wald- und Felsenlandschaften. Die drei Dämoninnen heißen Stheno (= die "Starke"), Euryale (= die "weit Umherschweifende" oder "Weitspringerin") und Medusa (= die "Herrscherin", "Waltende" oder "Hinterhältige"). Ihr Anblick ist so schrecklich, dass jeder, der diese anschaut, zu Stein erstarrt. Nur die dritte der Schwestern hat einen sterblichen Körper. Wenn man bloß von einer Gorgo spricht, ist Medusa gemeint. Schon die Bedeutungsvarianten ihres Namens weisen eine Spannweite auf, die von der ursprünglichen Würde einer "Großen Göttin" ausgeht und bis zu ihrer patriarchalen Abwertung reicht. In der ersten Silbe "Me-" ist die sogenannte "Mond"-Wurzel des Sanskrit-Wortes "mâs" im Sinne von "Maß, Wissen, Regel, Monatsblutung" enthalten, womit auch der Begriff "metis" (= "Klugheit, Weisheit") anklingt, der den Namen der Mutter von Pallas Athene abgab."Me" wird so zur Grunderfahrung weiblicher Potenz und macht aus Medusa eine matriarchale Zyklusgöttin, die im Zeichen des Mondes und seiner Wandlungen steht, und ihre nährende fruchtbringende Kraft und Menstruations- Vollmacht im Wildschwein verkörpert. Der Name in der Bedeutung von "Herrscherin" erinnert außerdem noch an ihre Herkunft aus dem Wasser. Denn der oberste Gott des Meeres – egal ob er sonst Phorkys oder Poseidon heißt – wird mit der männlichen Form von "Medusa" angerufen. Seine Titel lauten: "halos medon", "pontomedon" oder "eurymedon". Gorgides und Gorgades sind auch Namen für Meergöttinnen.

Interpretation: Die bisherigen Ausführungen lassen nur den Schluss zu, dass Gorgo und Medusa mit der Großen Göttin des Matriarchats gleichbedeutend sind. Schon die Dreizahl der Schwestern und ihre Namen verweisen auf die drei Phasen der Göttin, des Mondwechsels, des weiblichen Zyklus und der Jahreszeiten. Stheno verkörpert die starke, sexuell autonome Frühlings- und Mädchengöttin der weißen Phase, Euryale die umherschweifende Sommer- und Frauengöttin der "Heiligen Hochzeit" und der roten Phase; Medusa schließlich als Herrscherin über Leben und Tod und als Waltende des Schicksals repräsentiert die Herbst / Winter- und Greisengöttin der Unterwelt und der schwarzen Phase. In der griechischen Mythologie könnten diese drei Aspekte auch in den Namen Artemis, Demeter und Hekate ihren adäquaten Ausdruck finden. Alle drei Göttinnen haben einen gewissen Bezug zur Gorgo und stellen mit ihren Personen jeweils Anfang, Mitte und Ende des Lebenszyklus dar. Artemis und Demeter tragen in ihrem Zorn das tödliche-schreckliche Antlitz der Medusa, das Gorgoneion, auf dem Hals; Hekate sieht ähnlich grauenerregend wie dieses Haupt aus. Die junge Jagdgöttin und die alte Todesgöttin verkörpern auch die zwei Seiten des Mondes und seiner weiblichen Gottheit. Die urweibliche "me"-Silbe verbindet Demeter und Medusa, die beide ebenso wie Artemis "Herrinnen der wilden Geschöpfe" sind. Hekate wiederum hält auch im Element des Wassers Hof und hat einige Liebesverhältnisse mit Meeresgöttern. Die mütterliche Göttin der Erde und der Vegetation besitzt außerdem ein inniges Verhältnis zu ihrer jugendlichen Tochter Kore, die als schöne, erotische Unterweltsgöttin Persephone, das Gorgoneion bei sich trägt und es jederzeit einsetzt um sich vor Entführern und Eindringlingen in ihrem Reich zu schützen. Wie Pallas Athene stammt Medusa aus Libyen und ist mit der ägyptischen Göttin Neith verwandt, die auch eine Vorläuferin von Hekate war. Gorgos Schlangenhaare, die an die Kobra-Gestalt ihrer Ahnin – besonders auf der Pharaonenkrone – erinnern, verweisen auf den weiblichen Zyklus als geistiges Prinzip, und repräsentieren damit die Schöpferkräfte in ihrer Tiefe und Höhe und verdeutlichen so, den Zusammenhang zwischen Schlange und Weisheit. Ihr Tierfellkleid und ihre herausgestreckte Zunge symbolisieren den Wolkenhimmel, den Regenzauber und die Bitte um Befruchtung der Erde. Die Swastika erscheint bei ihr als Sinnbild der kosmischen Ordnung und ihrer Herrschaft über Leben und Tod. Medusa wurde in Griechenland ursprünglich als Göttin hoch verehrt und darum tabuisiert. Wegen ihrer Heiligkeit ließ sie jeden, der sich ihr unrechtmäßig näherte, zu Stein erstarren. Das Motiv des Schrecken erregenden Gorgoneions wurde an Tempeln, Gräbern, Schilden, Gebäuden, Stadtmauern, Öfen, Trinkgefäßen, Statuen und Vasen angebracht und sollte zur Abwehr destruktiver Mächte und böser Blicke dienen. Die Priesterinnen der Göttin trugen diese Fratze als Maske, um Fremde vor der unbefugten Teilnahme an ihren Mysterien abzuschrecken. Mit ihrem Haupt schützte Medusa alle Götter und Menschen, die ihr Bild bei sich hatten und zeigten. Das Gorgoneion auf dem Gewand einer Frau oder dem Körperteil einer Göttin war das Zeichen ihrer über sich selbst verfügenden Weiblichkeit. Die Gorgo bot ihren Schutz überall dort an, wo die Griechen etwas heilig hielten und wertschätzten, z. B. wo es galt, Übergriffe abzuwehren, Eigentum zu sichern oder Personen und Tiere heil und unversehrt zu erhalten. Auf diese Weise war das Bild der Medusa im griechischen Alltag allgegenwärtig. Das hohe Ansehen der Gorgo in der Antike bezeugt auch das häufige Vorkommen ihres Namens bei Personen. Bedeutende Fürstinnen, etwa in Sparta, trugen ihren Namen als Zeichen dafür, dass damit ein gutes Omen verbunden war. Solange Tatkraft, Mut und Selbstbewusstsein Eigenschaften waren, die mit der Gorgo assoziiert wurden, betrachteten es die Frauen als Ehre, sich mit ihr zu identifizieren. Außerdem wurde dieser Name häufig auch kleinen Mädchen gegeben, von denen die Eltern erwarteten, dass sie zu Schönheiten und nicht zu abschreckenden Wesen würden.

Dies lässt den Schluss zu, dass Medusa ursprünglich von wunderschöner Gestalt gewesen sein muss.

In der Tat gibt es etliche Sagenvarianten, die sich um das "schönwangige" Mädchen Gorgo ranken. So legte sich in einer davon Poseidon, der dunkellockige Meeresgott, neben die sterbliche junge Frau im weichen Gras unter Frühlingsblumen. Hier ergibt sich wieder eine Parallele zu Persephone, die vom Unterweltsgott Hades, Poseidons Bruder, zwischen Frühlingsblumen geraubt und ins Totenreich entführt wurde. Nach einer anderen Version soll Medusa so schön gewesen sein, dass Pallas Athene vor Neid erblasst sei und mit ihr um den Preis der Schönheit gestritten habe. Da die Gorgo den Wettstreit gewonnen habe, sei Athene beleidigt gewesen und habe die Konkurrentin zur Strafe in ein "Bild grauenhaftester Hässlichkeit" verwandelt. In einer weiteren Erzählung ging die Weisheitsgöttin eines Tages in ihren Tempel und überraschte dort Medusa im Beischlaf mit Poseidon. Wütend über den Missbrauch ihres Heiligtums schlug sie der Gorgo das Haupt ab, zog ihr die Haut vom Leibe und bekleidete sich damit. Den abgetrennten Kopf heftete sie zum Zeichen ihres Sieges an ihre Brust. Erzürnt verwandelte Athene nach einer anderen Variante Medusa in das bekannte schlangenhaarige, versteinernde Ungeheuer. Die letzte Variante dieses Mythos wiederum berichtet, dass die Gorgo sich mit Poseidon in schöner Menschen- oder Pferdegestalt verbunden und im Tode das geflügelte Ross Pegasos und den Helden Chrysaor geboren habe. Diese Geschichte erinnert an die Affäre des Meeresgottes mit Demeter, die er verfolgte und schließlich vergewaltigte. Dabei trat er als Hengst auf, sie als Stute. Dieser Vereinigung entsprangen die Nymphe Despoina und das wilde Pferd Arion. Der brutale Poseidon trat außerdem in Wettstreit mit Pallas Athene um die Herrschaft von Athen und versuchte dabei auch sich der Göttin gewaltsam zu nähern. Beides misslang ihm letztendlich, wenngleich sie dafür einen hohen Preis bezahlen musste. Solche Erzählungen drücken symbolisch die aggressive Art und Weise aus, wie das Patriarchat die alten matriarchalen Kulte besiegte, unterdrückte und abwertete.

In den meisten der soeben genannten Sagenvarianten ist die Feindschaft von Athene gegenüber Medusa ein zentrales Thema. Dieses Motiv erscheint auch in der Geschichte von Perseus, dem bekanntesten Mythos, in dem die Gorgonen erscheinen. Zu Beginn versprach der junge Sohn des Zeus leichtsinnig seinem Pflegevater Polydektes, ihm das Haupt von Medusa zu bringen. Athene wollte Perseus nicht nur aus Sympathie für seine Person, sondern auch aus Abneigung gegen die Gorgo bei seinem Abenteuer helfen. Zunächst schenkte sie ihm einen glanzpolierten Schild und lehrte ihn, dass er damit das Ungeheuer im Spiegelbild ansehen könnte, um dem direkten Anblick und damit der Gefahr der Versteinerung zu entgehen. Sie reiste mit ihm nach Westen zum Land der Hyperboreer. Dort fand Perseus in Kisthene die schlafende Medusa und richtete sein Augenmerk nur auf den blanken Schild. Athene führte ihm die Hand, und mit einem einzigen Streich des Schwertes von Hermes schlug er der sterblichen Gorgo den Kopf ab. Aus dem Rumpf der schwangeren Toten entsprangen Poseidons Söhne Pegasos und Chrysaor. Der Verfolgung durch die beiden anderen Gorgonen Stheno und Euryale konnte sich der Held durch eine Tarnkappe entziehen. Mit dem Medusenhaupt bestand er noch einige Abenteuer und besiegte darin alle seine Feinde. Als Höhepunkt seiner Kämpfe tötete er ein riesiges Meerungeheuer von Poseidon und befreite dessen gefesseltes Opfer, die Königstochter Andromeda, die dann auch seine Gemahlin wurde. Abschließend schenkte er das Gorgoneion aus Dankbarkeit seiner Gönnerin Athene, die es von nun an auf ihrem Schild und ihrem Brustpanzer "Aigis" trug. Seine Mutter Danae nannte ihren Sohn Eurymedon, als sei er auch "Herrscher des Meeres" und Gatte der Medusa, nicht einfach nur ihr Töter. Damit wird deutlich, dass Perseus ursprünglich ein matriarchaler Heros war, der mit der Großen Göttin in deren abwechselnden Erscheinungsformen der Gorgo, Pallas und Andromeda "Heilige Hochzeit" hielt, sich dann später aber zum patriarchalen Mörder seiner einstigen Muttergeliebten wandelte und sich an deren Stelle zum "Herrscher" aufschwang.

Es fällt auf, dass Athene und Gorgo gerade auch in Hass und Feindschaft ein besonders inniges Verhältnis zueinander haben. Fast scheint es, als wären sie nur die beiden Seiten oder Pole einer ursprünglichen, weiblich-matriarchalen Ganzheit, die in der Großen Göttin ihren Ausdruck fand. Die Schützerin Athens würde nach dieser These den hellen, lichten Aspekt dieser umfassenden Gottheit darstellen, die Dämonin der Unterwelt könnte deren dunkle, chthonische Macht repräsentieren. Verstandesklarheit und praktische Einsichtsfähigkeit einerseits, Trieb-, Instinkt- und Körperhaftigkeit andererseits ergeben erst zusammen ein Ganzes, dass die strömende, in Liebe bezogene Fülle der Göttin in ihrem Wesen ausmacht. Abgespalten voneinander werden die Teile böse und destruktiv und bekämpfen sich, statt sich positiv zu ergänzen. Aber immer wieder schimmert durch die Mythen die ursprüngliche Einheit durch. So wurden die Pallas und die Gorgo, deren eine Schwester Euryale, die "Weitspringerin", hieß, selbst früher als Läuferinnen dargestellt. Athene hatte z. B. auch den Beinamen "gorgopis", die "schrecklich Blickende", d. h. sie besaß selbst die Bannkraft des Medusenhauptes, den Basiliskenblick der Schlange und die lähmende Schreckgewalt ihrer Aigis. Damit beanspruchte sie die gleiche Heiligkeit wie ihre dunkle Seelenschwester und warnte durch ihren Blick die Menschen davor, die verborgenen göttlichen Mysterien erforschen zu wollen. Beim Giganten Kampf präsentierte sie sich nicht als Herrin des rational geführten Krieges, sondern übertraf an mörderischer, berserkerartiger Wut auf dem Schlachtfeld sogar ihren Rivalen Ares allein durch ihr gorgonisches Wesen, das noch bis in die nachchristliche Zeit an der Göttin von römischen Schriftstellern gerühmt wurde.

Auch auf dem Gebiet der Medizin gab es eine tiefe Verbindung zwischen den beiden Polen der Großen Göttin. Athene überreichte dem Heilgott Asklepios zwei Gläser mit dem Blut der Medusa: Mit dem aus den Adern rechts stammenden konnte er Menschen retten und Tote auferwecken, mit dem aus den Adern links geflossenen Blut Leben vernichten. In der Sicht der Asklepios-Religion war die rechte Seite des Menschen mit dem Bewusstsein und der Ratio verbunden, während man die linke Körperhälfte mit dem Unbewussten und Triebhaften assoziierte. Die Bewusstwerdung des alten "gorgonischen" Anteils in der Seele konnte Krankheiten heilen und den Tod besiegen, jedoch die ausschließliche Bezogenheit auf das Tierhafte des Unbewussten musste tödlich sein. In einer anderen Erzählvariante teilten sich Asklepios und Athene Medusas Blut untereinander: Er gebrauchte es, um Leben zu retten, sie aber, um es zu zerstören und Kriege anzustiften. Der Heilgott erweist sich hier als legitimer "Sohn" der Großen Göttin, der ihr matriarchales Erbe lebenserneuernd einsetzt; die Schutzherrin von Athen jedoch erscheint als patriarchal abgespaltener Pol der ursprünglichen weiblichen Ganzheit in Gestalt der gehorsamen Vatertochter von Zeus, die ihren dunklen Gegenpol und damit Schatten durch Unterdrückung und Abwertung bösartig werden lässt und dann zu destruktiven Zwecken benutzt. Die moderne Tiefenpsychologie hat die negativen Aspekte von Medusa in ihren Interpretationen des antiken Mythos einseitig hervorgehoben und damit das grauenerregende Bild der Göttin noch verstärkt. Die Psychoanalyse hat sie natürlich ganz im Sinne ihrer Sexualtheorie gedeutet. In seinem Manuskript "Das Medusenhaupt" von 1922 geht Sigmund Freud von der Prämisse "Kopfabschneiden = Kastrieren" aus. Für ihn ist die Angst vor dem Gorgoneion ein Kastrationsschreck, wenn z. B. der Knabe das von Haaren umsäumte Genitale der Mutter entdeckt. Die Schlangenhaare des Hauptes stammen also aus dem Kastrationskomplex, und das starrwerdende Verwandeln in Stein bedeutet die Erektion. Wenn Pallas Athene die Gorgo in ihrer Aigis mit sich führt, trägt sie das erschreckende Genitale der Mutter zur Schau und wird dadurch zum unnahbaren, jedes sexuelle Gelüste abwehrenden Weib, was nach Freud gut zur Mentalität der durchgängig stark homosexuellen Griechen passt. Sandor Ferenczi äußerte sich ähnlich in seiner Notiz "Zur Symbolik des Medusenhauptes" von 1923. Er deutet das Gorgoneion als schreckhaftes Symbol der weiblichen Genitalgegend, dessen Einzelheiten von unten nach oben verlegt werden. Die vielen Schlangenhaare lassen auf das Vermissen des Penis in der Sicht des Kindes schließen, und die Augen des abgeschlagenen Kopfes haben die Nebenbedeutung der Erektion. C. G. Jung erwähnt Medusa in seinem Gesamtwerk nur am Rande. In "Symbole der Wandlung" von 1952 nennt er z. B. Echidna die Mutter aller Schrecken und führt in der Aufzählung ihrer Kinder auch die Gorgo an, was auf eine negative Auffassung der Göttin hinweist.

Erich Neumann knüpft im Grunde an Freud und Ferenczi an, tut dies aber in der Terminologie der Analytischen Psychologie. In "Ursprungsgeschichte des Bewusstseins" von 1949 ist für ihn der offene Schoß das verschlingende Sinnbild der uroborischen Mutter, besonders in Verbindung mit phallischer Symbolik bei Medusa. Die abbeißende, kastrierende Vagina tritt als Höllenmaul auf, und die Schlangenhaare des Gorgoneions sind gefährdende phallische Angstelemente des weiblichen Genitales. Nach Neumann versperrt die Unterweltsgöttin den Weg zur Anima und damit den Eintritt in den schöpferischen, empfangenden und zeugenden wirklichen Schoß des Weiblichen. Die Gorgo ist mit der Gestalt der furchtbaren Mutter und Tierherrin identisch. Sie hat noch eine sehr starke überwältigende Macht, der Perseus kaum gewachsen ist und die er nur indirekt in der Reflexion von Athenes Spiegel brechen kann. Poseidon ist als furchtbarer Vater und Liebhaber der Medusa deutlich der Großen Mutter als phallisch-urmächtiger Begleiter zugeordnet. In der kämpferischen mann- und bewusstseinsfreundlichen Gestalt der Athene zeigt sich die Überwindung der alten Mutter-Göttin durch die neue weibliche Geist-Göttin am deutlichsten, die im Gegensatz zur Mann-Feindlichkeit der Gorgo die höhere Gefährtin und Helferin des Helden ist. In "Die Große Mutter" von 1956 betont Neumann die Kluft zwischen beiden Göttinnen noch einmal ausdrücklich. Für ihn gehört Athene als kretische Muttergottheit zum Pol der "guten Mutter", während die Medusa der vorgriechischen Zeit am negativen Pol der "furchtbaren Mutter" steht. In dieser erscheint der negative Elementarcharakter des Großen Weiblichen. Der erstarrenmachende Blick der Gorgo bildet den Gegensatz zur Lebendigkeit der Vitalkraft und bedeutet psychisch Versteinerung und Verkalkung. So ist Medusa das Gegenbild des Lebensschoßes als Todesschlund oder auch als Nachtsonne. Das Schlangenhaar der furchtbaren Göttin entspricht einer "negativen Strahlung" aus den dunklen Tiefen der Seele. Mit ihrem grauenvollen Aussehen wirkt die Gorgo wie ein Bild der großen vorgriechischen Muttergottheit in ihrem verschlingenden Aspekt als Erde, Nacht und Unterwelt. Ihr Genitale wird durch das zähnebleckende Antlitz vertreten, dessen herausgestreckte Zunge immer phallischen Charakter besitzt. Diese uroborische Schlangenfrau mit dem Penis tritt so als Einheit von Gebärendem und Zeugendem, von Leben und Tod auf und präsentiert sich als Herrin des Nachtweges, des Schicksals sowie der Gespenster- und Totenwelt.

Jean Shinoda Bolen bringt in ihrem Buch "Göttinnen in jeder Frau" von 1986 die Gorgo und die Pallas auf eine praktische Weise für die moderne Psychotherapie zusammen. Der sog."Medusa-Effekt" ist für sie auch ein Aspekt der Athene-Frau, die im metaphorischen Sinne eine lebenstötende Wirkung auf die Erfahrungen anderer Menschen hat. Dieser weibliche Typus vermag ein Gespräch seiner Vitalität zu berauben und eine Beziehung in ein statisches Bild zu verwandeln. Mit seiner Insensibilität kann er die Atmosphäre drastisch von einer höchst persönlichen Ebene auf ein oberflächliches und distanziertes Niveau bringen. Wenn eine solche "Athene" des 20. Jahrhunderts eine höhere Position innehat und ihr Urteil so Gewicht erhält, ist sie in der Lage, mit ihrem unpersönlich-analytisch sezierenden Intellekt die ganze Macht ihres Medusa-Aspekts unbarmherzig auszuspielen, dadurch andere in Angst und Schrecken zu versetzen und quasi zu versteinern. Durch ihre Haltung der Objektivität und die Schärfe ihrer Fragestellungen tötet sie das Potential für eine echte Kommunikation ab, die auch Herz und Seele einschließt. Die Athene-Frau zeigt dabei keinerlei Verletzlichkeit oder Betroffenheit. Ihre gut gerüstete Abwehr, ihre rationale Autorität und ihr kritischer Blick halten andere gefühlsmäßig auf Distanz. Nur wenn dieser Typus seinen Medusa-Effekt bewusst wahrnimmt und darüber entsetzt ist, vermag er sich der Tatsache zu entsinnen, dass er seine "Aigis mit dem Gorgoneion" sowohl an- als auch abziehen kann und dadurch eine gewisse innere Freiheit und Flexibilität im Umgang mit seiner Eigenart gewinnt. Der Medusa-Effekt ist verschwunden, sobald die Athene-Frau sich nicht mehr zum Richter über andere Menschen erhebt und für sich in Anspruch nimmt, Urteile über sie zu fällen. Ihr kann dann bewusst werden, dass sie etwas von ihnen zu lernen, etwas mit ihnen zu teilen und somit als Ebenbürtige mit ihnen in Beziehung zu treten vermag.

Die Bewusstwerdung der Gorgo in uns ist sicher primär auf dem persönlichen Individuationsweg erfahrbar. Aber die allgemeine Frage nach der Erlösung dieses dunklen weiblichen Seelenanteils und dessen Befreiung aus jahrhundertelanger Unterdrückung sollte durchaus auch im öffentlichen Rahmen gestellt werden. Nach Neumann ist die Dissoziation zwischen Athene und Medusa unaufhebbar. Die eine hilft als "höhere" Anima dem "Helden-Ich" bei seiner Selbstwerdung, die andere findet als Mutterdrachen im Kampf um Autonomie den Tod. Wenn jedoch beide Göttinnen nun als zwei getrennte Pole innerlich zusammengehören und die eine zu ihrer Vollständigkeit der anderen bedarf, muss der "gorgonische" Schatten-Aspekt, der so lange von unserer Kultur vergiftet wurde, Schritt für Schritt aus seiner Dämonisierung herausgeführt, dem allgemeinen Bewusstsein angegliedert und ins öffentliche Leben integriert werden. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass Medusa als Verkörperung des dunklen Weiblichen in uns – im Gesamtzusammenhang der Lebenszyklen – nur positive, heilende und schützende Funktionen hat und bloß sie, der Pallas als Symbol unserer patriarchalen Bewusstseinshaltung, aus dem Unbewussten die Energie zuführen kann, die sie braucht, um "ganz" und "heil" zu werden. Denn die Gorgo besitzt von ihrem Wesen her jene Weisheit aus der Tiefe, die Athene fehlt, weil sie nur der Oberfläche des Logosprinzips und der Rationalität verhaftet ist. Erst die Vereinigung der lichten, patriarchalen und der dunklen, matriarchalen Seite unserer Kultur könnte die nährende und wärmende Liebe aus dem umfassenden Geist des Sophia-Weiblichen entstehen lassen, die wahre (Mit-) Menschlichkeit erst ermöglicht. In dieser Schlussvision findet "Die Große Mutter" von Neumann die letzte Erfüllung.

Literatur: Standard

Autor: Schröder, Friedrich