Spiegel

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Keyword: Spiegel

Links: Bewusstsein, Licht, Logos-Prinzip, Sonne, Wasser

Definition: Etym.: von lat. speculum / specere- sehen, spähen.

Information: Keine

Interpretation: Der Spiegel ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Abbild (Spiegelbild), worin man sich selbst erkennt und was helfen kann, die eigene Identität herzustellen. Er ist Symbol der (Selbst)Erkenntnis, des Verstandes, Klarheit und Wahrheit und der Seele. Er kann Bewusstwerdung ermöglichen, denn erst durch die Verdoppelung alles Seienden, der Gegenüberstellung zweier Pole wird dies für das menschliche Bewusstsein erkennbar. Als Spiegel des Universums wird in ihm die Widerspiegelung der übernatürlichen und göttlichen Intelligenz gesehen, der helle, glänzende Schein göttlicher Wahrheit. Seit der Antike bestand die Vorstellung, dass die sichtbare Schöpfung ein Spiegel Gottes sei. Die kreisrunden chinesischen Spiegel der Han-Zeit lassen auf der Rückseite die Darstellung des Kosmos erkennen.

In der Mystik wird der Spiegel Symbol für die Offenbarung einer höheren, verborgenen Wirklichkeit; Gott selbst wird zum „Spiegel der Ewigkeit“ (Mechthild v. Magdeburg).

Wegen seiner Klarheit und Ähnlichkeit zur Sonnenscheibe „glänzend wie ein Spiegel " hat der Spiegel solare Bedeutung: wie die Sonne bringt er in Orakeln und Märchen die Wahrheit an den Tag. Als das reflektierte Licht des Mondes hat er jedoch auch luneare Bedeutung. In China ist er ein Symbol des kontemplativen Nichthandelnden Wesen. Der Spiegel wurde geleg. in einem Tempel oder einem Grabmal mit der Glanzfläche nach unten gehängt, um so eine »Lichtachse«, den Weg des Aufstiegs der Seele, zu schaffen.

Im chin. Buddhismus ist der Spiegel eines der acht kostbaren Dinge, bedeutet die Seele im Zustand der Reinheit; der erleuchtete Verstand; aber auch Aufrichtigkeit. In seinem Symbolgehalt als reflektiertes Licht ist er ein Bild für das Samsara. In Japan galt er als Symbol der Sonnengöttin; als heiliger runder oder blütenkelchförmiger Metall-Spiegel findet er sich in zahlreichen shintoistischen Tempeln. Im Mittelalter war der Spiegel Symbol für die Jungfräulichkeit Marias, in der Gott sein Ebenbild in Gestalt seines Sohnes spiegelte. Er galt einerseits als Attribut der personalisierten Luxuria (Wollust, Eitelkeit), andererseits der Veritas (Selbstkenntnis, Wahrheit) und Prudentia (Klugheit). Im antiken Volksglauben diente er zu Wahrsagezwecken und als Abwehrzauber. Dem Spiegel wurden zu allen Zeiten besondere Kräfte zugeschrieben. In Märchen hat der Spiegel magische Eigenschaften, ist meist das Tor zum Reich der Umkehrungen, zum zukünftigen Geschehen, zur Offenbarung des Verborgenen, er zeigt verborgene Schätze, Geheimnisse der Welt und macht entfernte Personen und Vorgänge sichtbar. Der Spiegel der Stiefmutter Schneewittchens (Grimm KHM 53)kann als wissender Geist, jedoch auch als Animus-Aspekt der Königin verstanden werden und zum Mittel der Macht.

Er ist wichtiges Handwerkszeug von Zauberern und macht gelegentlich Wünsche und Sehnsüchte des Hineinblickenden deutlich (wie im magischen Spiegel bei „Harry Potter und der Stein der Weisen“, indem Harry die Begegnung mit seinen verstorbenen Eltern erlebt).

In Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ sorgen Splitter eines Teufelsspiegels im Auge des Jungen Kai dafür, das alles Böse und Hässliche übergroß wird, das Gute und Schöne verschwindet.

Im Spiegel sieht der Mensch alles seitenverkehrt, jedoch auch was hinter ihm ist, der Spiegel scheint also mehr zu sehen, als er selbst sehen kann. Möglicherweise soll der Name „Der Spiegel “ des bekannten Nachrichtenmagazins einen ähnlichen Eindruck vermitteln. Täuschung („Spiegelgefecht“ – ein Scheingefecht, Fechtübung vor dem Spiegel) wie Entlarvung („Jemanden den Spiegel vorhalten“, „sich etwas hinter den Spiegel stecken“ - unangenehme Wahrheit ins Auge sehen) sind die gegensätzlichen Pole, die mit dem Symbol des Spiegel s verbunden sind.

Der Blick in eine scheinbare Gegenwelt wurde bis in die Gegenwart oft dichterisch verarbeitet (z. B L. Carroll, "Alice Behind the Mirrors", J. Cocteau, "Orphée". In der Dichtung (Mallarme) gewährt der Spiegel einen Blick hinter die Dinge. Redensartl. begegnet auch oft der Vergleich, Auge oder Gesicht seien Spiegel der Seele. Der Spiegel gehört zum Logos- Prinzip, symbolisiert Wahrheit und Erkenntnis, ermöglicht ernsthafte Selbstbetrachtung, den Vergleich früher und heute, Selbsterkenntnis und -bestätigung, was sich aus dem Zweifel heraus, doch nicht der / die Erste, Beste oder Schönste zu sein, gelegentlich zu zwanghaft anmutender Selbstbespiegelung entwickeln kann. Helfen kann die Erfahrung der eigenen Einmaligkeit, jeder von uns ist ein vorher noch nie da gewesenes Individuum. Im Individuationsprozess geht es ja gerade auch um die Verwirklichung des eigenen Wesens: „Werde der Du bist“. C. G. Jung meint:„Wer in den Spiegel (des Wassers) blickt, sieht zunächst sein eigenes Bild und riskiert die Begegnung mit sich selbst. Der Spiegel schmeichelt nicht, er zeigt getreu jenes Gesicht, was wir der Welt nie zeigen, weil wir es durch die Persona, die Maske des Schauspielers verhüllen. Der Spiegel liegt aber hinter der Maske und zeigt sein wahres Gesicht. Dies ist die erste Mutprobe auf dem inneren Weg, eine Probe, die genügt, um die meisten abzuschrecken“. (C. G. Jung, Eranus Jahrbuch 1934, p199 f.)

Sich im Spiegel anschauen (auch im Spiegel des Traumes) meint sich selbst zu erkennen, bisher unbewusste Aspekte der Persönlichkeit (Schattenaspekte) wahrzunehmen und anzuerkennen, prospektiv-final verstanden auch das innere Potential, die zukünftigen Möglichkeiten, Aspekte des Selbst.

Literatur: Standard

Autor: Kuptz-Klimpel, Annette